Tante Inge haut ab
hatte etwas Unangenehmes und starrte Anika herablassend an. Ganz anders als dieser Jörn.
»Die ist tot.« Kaugummi kaute er auch, was Inge hasste. »Seit zwei Monaten. Kannten Sie sie?«
»Nein«, Anika starrte genauso zurück, »nicht richtig. Aber meine Tante war vor fünfzig Jahren mal in den Ferien hier. Kinderverschickung. Und jetzt wollte sie mal gucken, wie es ihr so geht.«
»Tja, Frau Jakob ...«, abschätzig musterte Guido Schneider Inge, die keine Lust hatte, den falschen Namen richtigzustellen, »da sind Sie leider zu spät. Frau Nissen hat auch keine Kinder oder sonstige Familie gehabt, zu denen ich Sie jetzt schicken könnte. Frau Nissen hat mir und meinem Partner das Haus vermacht. Wir waren die Einzigen, die sich um die alte Dame gekümmert haben.« Er wippte ungeduldig auf den Fußspitzen. »Kann ich sonst noch was für Sie tun? Ansonsten müssen Sie uns entschuldigen, wir haben hier noch einiges zu erledigen.«
Inge schwieg fassungslos, Anika war nervenstärker.
»Nein, danke.«
Inge hatte Angst, ohnmächtig zu werden. Mit letzter Kraft presste sie ein »Wiedersehen« hervor, bevor sie sich langsam auf den Weg zum Auto machte.
Jörn Tietjen hielt Anika, die sich schon umgedreht hatte, am Arm fest. »Warte mal. In welchem Hotel seid ihr denn?«
»In keinem. Ich lebe hier.«
"Wirklich?« Er sah sie überrascht an. »Du, ich bin bis nächsten Samstag auf der Insel, wollen wir mal essen gehen? Das müssen wir doch feiern, also ich meine, dass wir uns hier wiedergetroffen haben. Ich sage dir, es gibt keine Zufälle, alles ist Schicksal. Hier, meine Handynummer«, hektisch wühlte er in seinen Jackentaschen und zog schließlich eine zerknitterte Visitenkarte hervor, die er ihr feierlich überreichte, »ruf mich an, egal wann, also, ich meine, wenn du Lust hast. Ich würde mich sehr freuen. Wirklich.«
Er findet sie hinreißend, stellte Inge fest, die gewartet hatte. Vielleicht war er früher mal in sie verliebt gewesen. Sie sollte die Einladung annehmen, dachte sie, bevor ihr wieder einfiel, dass sie im Moment wirklich ganz andere Probleme hatte. Trotzdem registrierte sie zufrieden, dass Anika die Visitenkarte einsteckte.
Als sie ins Auto stiegen, bemerkten sie dankbar, dass Till sich auf dem Rücksitz eingerollt hatte und eingeschlafen war. Inge rieb sich die Augen. "Hier ist irgendetwas faul ...«, sagte sie entmutigt, >*Anna hat nie etwas von einem Guido Schneider erzählt. Wieso soll ihm das Haus gehören? Ich habe doch das Testament.«
>*Wo ist das eigentlich?"
»Im Seitenfach von meinem Kulturbeutel. Ich wollte nicht, dass Walter es zufällig findet.«
»Na, die Sache ist doch ganz einfach«, entschlossen startete Anika den Motor, »ich werde mit Jörn essen gehen, vielleicht kriege ich was raus. Und du solltest ganz schnell einen Termin bei deinem Anwalt machen. Keine Sorge, das kriegen wir schon hin. Und übrigens ...«
»Ja ?«
»Das Haus ist toll.«
Im Seitenspiegel beobachtete Inge, dass Jörn ihnen mit seligem Lächeln hinterhersah. Christine und Johann blieben sitzen, bis das Licht im Kinosaal wieder anging.
»Ich weiß gar nicht, warum die Leute sich immer sofort nach der letzten Szene durch die Dunkelheit drängeln müssen«, sagte Christine, die sich im Gehen ihre Jacke anzog, »so ist es doch viel einfacher.«
»Vielleicht müssen sie alle sofort aufs Klo«, antwortete Johann und ließ Christine an der Tür den Vortritt. »Das muss ich jetzt übrigens auch. Wollen wir in Westerland noch etwas trinken?«
»Lass uns doch im Hotel an die Bar gehen. Die sah ganz schön aus.«
»Gut.«
Johann verschwand hinter der Tür zur Toilette, Christine lehnte sich an eine Wand. Sie nahm ihr Handy aus der Tasche und stellte es wieder an. PIN angenommen, meldete das Gerät und fing sofort an zu klingeln. Die Mailbox meldete sich, Christine nahm das Gespräch an.
»Sie haben zwölf neue Nachrichten: Heute, empfangen um 18.30: >Hallo, Papa hier. Ist Mama mit euch unterwegs?<
Heute, empfangen um 18.41: >Also, wenn sie da ist, frag doch mal, wann sie kommt.<
Heute, empfangen um 18.54: Walter hat Hunger. Wir gehen jetzt zu Gosch.<
Heute, empfangen um 19.03 : >Ja, wir sind am Hafen.<
Heute, empfangen um 19.20: >...<
Heute, empfangen um 19.55: 'Wieder diese doofe Maschine.« Heute, empfangen um 20.19: >NatürIich ist das Christines Nummer. Hallo?«
Heute, empfangen um 21.49: Wir sind zu Hause.<
Heute, empfangen um 21.52: >Christine! Mama ist weg.<
Heute, empfangen um 22.12:
Weitere Kostenlose Bücher