Tante Inge haut ab
sich zurück. »Da haben Sie etwas verwechselt. Das ist ein Anwalt aus Westerland. Mit dem hatte Inge wohl einen Termin, aber das ist kein Verehrer. Der ist auch viel jünger als sie.« Mit einer derart verhaltenen Reaktion hatte Renate nicht gerechnet. Sie legte nach: »Ja, stimmt, sie hatte bei ihm einen Termin. Jetzt halten sie sich ruhig an mir fest, Walter: Wegen der Scheidung! Und dabei hat es wohl geschnackelt. Seitdem bekommt sie dauernd Blumensträuße und Anrufe. Die beiden hatten sogar einen romantischen Kurztrip geplant, der aber wegen des Einbruchs leider ausfallen musste. Das ist die Wahrheit, meine Herren.«
Zufrieden griff sie zu ihrem Champagnerglas und sah gespannt in die Runde.
Heinz war blass geworden. »Und das hat sie Ihnen alles erzählt?«
»Nein«, Renate strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, »aber ich bin ja nicht dumm und kann mir einiges zusammenreimen. Inge hat sich dauernd verplappert. Ich musste nur genau zuhören. Walter, ich hätte Ihnen das gern erspart. Wenn Sie mal reden möchten ...«
»Ach was«, mit Schwung stellte er sein leeres Bierglas auf den Tisch und stand so schnell auf, dass der Strandkorb wackelte, »das klären wir selbst. Was ist, Heinz, Kalli? Los, trinkt aus! Ich gehe mir noch mal die Nase pudern, dann fahren wir.«
Seine Schritte knirschten auf dem Kiesweg. Renate wickelte erschreckt eine Haarsträhne um den Finger. »Hoffentlich habe ich ihn jetzt nicht...«
»Nein, nein«, Heinz erhob sich langsam und sah beruhigend auf sie herab, »wenn Walter los will, dann will er los. Da wird nicht mehr diskutiert. Komm, Kalli, wir fahren, oder musst du auch noch mal für kleine Jungs?«
»Nein.« Eilig sprang Kalli hoch und verbeugte sich mit feuerrotem Gesicht vor Renate. »Entschuldigen Sie, die beiden benehmen sich manchmal wie Holzklötze. Ich schiebe es heute auf den Schock. Nichts für ungut.«
Sie reichte ihm die Hand wie für einen Handkuss und guckte komisch, als er sie kräftig schüttelte. »Also dann, Renate, danke für dieses Gespräch und bis irgendwann mal.«
»Kalli! Heinz!«, brüllte Walter von der Eingangstür aus. »Ich denke, wir fahren!«
»Ja doch!«, rief Heinz zurück und reichte Renate die Hand. »Denn mal bis bald, Renate. Wenn Sie was Neues hören, halten Sie uns bitte auf dem Laufenden.«
Sie zwinkerte ihm zu. »Aber auch umgekehrt. Ich höre von Ihnen, versprochen?«
Kaum waren die drei weg, goss Renate den Rest des Champagners in ihr Glas. Es wäre doch schade, ihn umkommen zu lassen. Sie fand, dass Inge bei den Beschreibungen von Walter übertrieben hatte. Er hatte nicht ein einziges Mal über Fußball oder Krankheiten geredet. Außerdem sah er gut aus, mit seinem vollen Haar und der drahtigen Figur. Vielleicht brauchte er nur eine Frau, die ihm richtig zuhörte. Und er kannte sich mit Finanzen aus, ein ehemaliger Steuerinspektor würde nie unnötig Geld verschleudern. Renate lächelte zufrieden und schlug ihre Beine übereinander. Er hatte sie interessiert angeguckt, das hatte sie gemerkt. Wobei ... eigentlich hatten das alle drei Herren getan. Aber das war sie schließlich gewöhnt. •
Inge legte seufzend ihre Illustrierte beiseite, die sie sich in Westerland in der Bahnhofsbuchhandlung gekauft hatte. Es interessierte sie überhaupt nicht, dass die Verlobte eines Tennisstars sich die Haare mit Zitrone aufhellte oder dass die Gattin eines abgetakelten Fußballspielers pleite war und sich deshalb für ein billiges Magazin auszog. Inge hatte ganz andere Probleme.
Der Zug hatte bereits den Hindenburgdamm hinter sich gelassen. Inges Blick schweifte über die Windkrafträder, die leuchtenden Rapsfelder, die kleinen Höfe und die schwarzbunten Kühe. Es sah alles aus, wie es schon immer ausgesehen hatte, auf dieser Strecke hatte sich in den letzten Jahren kaum etwas verändert. Inge lehnte den Kopf zurück und schloss für einen Moment die Augen. Sie dachte an Kommissar Martensen und seine wilden Theorien. Natürlich klang einiges plausibel: Senioren, die keine Familie mehr hatten, die allein in ihren großen Häusern wohnten, fielen auf kriminelle Machenschaften herein. Es gab genug alte Menschen, die sich einsam und verloren fühlten und deshalb umso dankbarer waren, wenn sich plötzlich jemand um sie kümmerte. Da konnte es schon mal passieren, dass das Erbe neu verteilt wurde. Aber dazu hatten diese alten Menschen doch eigentlich auch das Recht. Schließlich war es ihr Erbe, um das es ging, sie hatten es zusammengespart.
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