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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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genau das der springende Punkt ist.«
    Gleason lächelte grimmig. »Sich beinahe umzubringen, um etwas beweisen zu wollen, ist extrem irrational. Aber nur Mut, Lucy. Mickey steckt immer noch irgendwo da drin, im Auge dieses Sturms. Wir warten einfach ab, bis sich das Verrücktsein gelegt hat, dann werden wir ja sehen, wer zum Vorschein kommt.«
    Lange starrte ich auf den grauen Himmel und den Regen hinaus, der auf die Windschutzscheibe prasselte. »Ich war so gemein zu ihm«, sagte ich leise.
    Gleason drückte meine Hand. »Das hatte er wahrscheinlich verdient. Gehen Sie trotzdem zu ihm zurück und bringen Sie das in Ordnung, Lucy. Ihre Zeit ist zu kostbar, als dass Sie sie auf gegenseitige Verletzungen verschwenden sollten.«
    Ich nickte, und Tränen traten mir in die Augen.
    Gleason drückte meine Hand. »Falls Ihnen das hilft, Lucy: Ich glaube daran, dass Mickey sich der Situation gewachsen zeigen wird. Das ist keine fachärztliche Einschätzung, sondern meine persönliche Überzeugung.«
    Ich sah den Menschen an, der meinen Mann am besten kannte. »Sagen Sie mir die Wahrheit: Glauben Sie, dass ich das erleben werde? Oder wird Mickey mich erst verlieren müssen?«
    Gleason Webb runzelte die Stirn und schwieg für einen quälend langen Augenblick. Dann drückte er wieder meine Hand. »Ich fürchte, er wird Sie erst verlieren müssen, Lucy. Er wird nicht erfahren, wozu er ohne Sie fähig ist, bis er ohne Sie auskommen muss.«
    Da brach ich weinend zusammen, und Gleason, der gute Gleason, ließ mich einfach weinen. Keine Floskeln, nur eine väterliche Hand auf meiner Schulter, während ich mir alles von der Seele weinte.
    Danach fuhr ich lange ziellos durch die Gegend. Meine Brust tat furchtbar weh. Was tat ich hier? Was hatte ich meinem Mann angetan? Er hätte meinetwegen sterben können!
Tu es einfach! Lass die Abtreibung machen!
Meine eigene Stimme hallte kreischend in meinem Wagen wider.
Tu es einfach! Du bringst ihn um!
Ich keuchte auf.
Nein! Nein!
Ich begann zu hyperventilieren und musste rechts ranfahren, das Fenster herunterlassen, den Regen spüren. Dann legte ich den Kopf aufs Lenkrad. Eine Abtreibung würde mich nicht retten, aber das spielte keine Rolle – ich konnte es immer noch nicht tun. Die Botschafterin war wirklich gewesen, so wirklich wie die Botschaft: Unsere Tochter abzutreiben würde mir nicht das Leben retten. Dessen war ich mir jetzt wieder so gewiss wie damals: Ich würde diese Erkrankung nicht überleben. Aber das war immer noch keine Antwort auf die schwerste Frage –
wann?
    Ich fuhr zum Krankenhaus zurück und ging hinauf zu Mickeys Zimmer. Niedergeschlagen saß er am Fußende seines Bettes. Er stand auf und tat vorsichtig einen Schritt auf mich zu. »Es tut mir so leid, Schatz«, sagte er mit vom Weinen dick geschwollenen Augen.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe es dir unmöglich gemacht.«
    »Es ist unmöglich für uns beide.«
    Ich ging zu ihm und schlang die Arme um seine Taille. »Die Zukunft ist völlig ungewiss, Mickey«, flüsterte ich. »Können wir nicht einfach nur das Hier und Jetzt betrachten? Unsere Tochter wachsen lassen und uns lieben, einen Tag nach dem anderen?«
    Mickey küsste mich auf die Stirn, sagte jedoch nichts. Er drückte mich nur so fest an sich, wie es das Baby zwischen uns erlaubte.
     
    Ich fuhr im Regen nach Hause und wünschte, Mickey hätte mitkommen können. Ich wollte mit ihm auf dem Sofa sitzen, Händchen halten und den Kopf an seine Schulter lehnen. Vielleicht in ein paar Tagen.
    Seufzend bog ich in meine Straße ab und fuhr durch den filigranen Tunnel aus uralten Bäumen, deren Zweige sich über der Straße trafen. In vier oder fünf Wochen würde sich hier das Laub häufen, eine Pracht in Topasgelb, Rubinrot und der Farbe von altem Pergament. Und dann, ungefähr an Halloween, würden Harry, Mickey, Drew Murphy und Treig Dunleavy es in ganzen Wagenladungen in Treigs Garten karren. Die Kinder würden ihnen wie immer im Weg sein und mehr spielen als mithelfen. Wenn ihre Väter sie irgendwann zum allerletzten Mal von dem riesigen Laubhaufen weggerufen hatten, würde Treig feierlich ein Streichholz anzünden. Und dann würden wir alle bei Chili und heißen Brötchen und Apfelwein im Garten sitzen, während die Flammen brausten und knisterten. Das hatte ich schon als Kind geliebt. Besonders mochte ich den Rauchgeruch in meiner Kleidung, wenn wir alle längst nach Hause gegangen waren.
    Bis dahin, in vier oder fünf Wochen, würde es Mickey sicher

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