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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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Abigail
ersetzt worden.
    Abigail. Abby. Ich wollte den Blick nicht von ihr abwenden und fand es unbegreiflich, dass sie noch vor sechs Tagen in meiner Lucy gewesen war. Abgesehen von ihrer zu geringen Größe war sie perfekt. Ich beugte mich vor, um ihr Gesicht zu betrachten. Eine Miniaturausgabe der Stupsnase ihrer Mutter, lange Wimpern, genauso dunkel wie ihr Haar. Ein winzig kleiner Mund. Sie verschwamm hinter meinen scheinbar endlosen Tränen, denen ich freien Lauf ließ, ohne mich dafür zu schämen. Lucy hätte sie so sehr geliebt! Solange ich meine Frau gekannt hatte, hatte sie sich gewünscht, Mutter zu sein. Eine Zeitlang, ganz zu Anfang, hatten wir auch vorgehabt, irgendwann ein Kind zu bekommen. Doch dann war Lucy krank geworden und ich immer wieder zusammengebrochen, und deshalb waren wir uns einig gewesen, dass Kinder nicht in unser Leben passten. Aber das hatte den Wunsch danach nicht verbannt.
    Diese Sehnsucht war nur noch stärker geworden von dem Augenblick an, als Lucy von dieser Kleinen hier erfahren hatte. Vergessen war die Abmachung, vergessen waren die Gründe, weshalb wir niemals hatten Eltern werden wollen. Gott schenkte uns ein Baby – wer waren wir schon, ihm zu widersprechen? Nur, dass Gott uns dann im Stich ließ. Ich krümmte mich beinahe vor Schmerz bei diesem Gedanken. Doch als ich mir die Augen trocknete, raubte mein Baby mir erneut den Atem. Ich beobachtete, wie sie schlief. Ihre kleine Brust bebte, während sie atmete, oder zu atmen versuchte. Ich wollte sie berühren, fürchtete mich aber davor. Zweimal schwebte meine Hand schon über ihr, doch ich zog sie wieder zurück, zu ängstlich, zu besorgt. Aber dann geschah das Undenkbare, und sie wurde plötzlich ganz still. Entsetzt beobachtete ich, dass sich ihre Brust nicht wieder hob. Im selben Augenblick begann das Überwachungsgerät zu kreischen. Ohne zu überlegen, steckte ich die Hand in den Kasten und legte sie auf diese zerbrechliche, winzige Brust. Sie fuhr zusammen. Augenblicklich waren eine Schwester und Dr. Sweeny zur Stelle, doch das Überwachungsgerät zeichnete schon wieder Atemaktivität auf.
    »Was habe ich Ihnen gesagt?«, bemerkte Dr. Sweeny. »Sie ist ein bisschen faul. Atmen ist anstrengend, und sie weiß nicht, dass sie nicht einfach mal eine Pause machen kann.« Sie lächelte mich an. »Und Sie sind ein Naturtalent.«
    »Wie bitte?«
    »Das ist genau das, was wir auch tun«, erklärte die Schwester und gab etwas in den Computer neben dem Bettchen ein. »Einfach reingreifen und sie ein bisschen aufrütteln, ihren Motor ankurbeln.«
    Ich seufzte und war sicher, dass die beiden durch mein Hemd mein wummerndes Herz sehen konnten. Die Hände hielt ich auf dem Schoß miteinander verschlungen, als hätten sie etwas Böses getan. Ich konnte nicht recht glauben, dass bloßer Instinkt – der Instinkt eines Vaters – mich dazu gebracht hatte, genau richtig zu reagieren.
    »Gut gemacht, Daddy«, sagte die Krankenschwester im Gehen.
    Dr. Sweeny tätschelte meine Schulter. »Wir sind dort drüben, falls Sie uns brauchen.«
    »Danke«, sagte ich und wandte mich wieder meiner Tochter zu. Kaum zu glauben, dass sie tatsächlich auf meine Berührung reagiert hatte. Mein Blick glitt zwischen dem Überwachungsgerät, das ihre Blutsauerstoffwerte aufzeichnete – ganz ähnlich wie bei ihrer Mutter –, und ihrem perfekten Gesichtchen hin und her. Mit der Oberseite meines Zeigefingers streichelte ich ihre weiche, weiche Wange und strich dann an ihrem ausgestreckten Arm, dünn wie ein Zweig, hinab zu einer Hand, die zehnmal in meine gepasst hätte.
    Ich beugte mich zu ihr vor. »Na, Abby, du brauchst also eine kleine Standpauke, hm? Meinst wohl, du musst dich nicht anstrengen, was? Tja, meine Kleine, du reißt dich besser zusammen und atmest, denn du bleibst schön hier bei mir. Jetzt ist Schluss mit dem Herumwackeln auf der Grenze zwischen Moms und meiner Welt.« Ich hörte, wie diese Worte von meinen Lippen kamen, und erkannte meine eigene Stimme kaum wieder. Vor allem konnte ich nicht fassen, welche Gefühle mich auf einmal ergriffen. Dies war meine Tochter, und das Einzige, was sie auf dieser Welt hielt, waren wachsame Helfer, die aufpassten, dass sie nur ja immer wieder Luft holte. Sobald ich mir dieser Tatsache bewusst geworden war, wurde dieses Baby zum Wichtigsten und Kostbarsten in meinem Leben. Wenn ich je wirklich gefürchtet hatte, es nicht lieben zu können, so verflog diese Angst binnen eines Herzschlags.

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