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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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Doch an ihre Stelle trat eine neue Traurigkeit. Diese kleine Frühgeburt war absolut abhängig von anderen. Da ich grässlicherweise der unzuverlässigste Mensch war, den Gott je geschaffen hatte, würden Ron und Lily seine Eltern sein. Der Gedanke durchfuhr mich mit einem Stich. Aber das war der Plan. Die Entscheidung war längst gefällt. Ich würde nicht Abbys Vater sein, weil ich nicht die erforderlichen Fähigkeiten vorweisen konnte. Und Lucy hatte das gewusst. Immerhin hatte ich ihr das wochenlang immer wieder gesagt. Aber woher kam dann dieser grauenhafte Schmerz?
    »Lucy«, flüsterte ich. »Ich brauche dich. Du kannst mich doch hiermit nicht alleinlassen.«
    Von irgendwo tief in meinem gebrochenen Herzen hörte ich Lucys Stimme, deutlich und vertraut, stark und verlässlich. »Du bist nicht allein, mein Liebling.«
    In diesem Moment spürte ich, wie sich eine winzige Hand um meine Fingerspitze schloss, und mir blieb fast das Herz stehen. Drei Pfund Leben, das am seidenen Faden hing, klammerten sich an jemanden wie mich. Von diesem Moment an war es um mich geschehen, und nichts, nicht einmal die Aussicht, meine Frau zu verlieren, hatte mir je solche Angst gemacht.
     
    Es ist schwer zu erklären, was nach jenem ersten Abend bei meiner Tochter mit mir geschah. Als ich sie verließ, war ich in sie vernarrt, aber ich wusste, dass ich sie nicht verdiente. Mir eine Beziehung zu Abigail auszumalen, war vermessen. Nichts hatte sich verändert. Ich würde in das Haus an der Chestnut Street zurückkehren, wo sie mich besuchen, aber nicht wohnen konnte. Ron würde ihr Vater sein, weil er besser qualifiziert war, sich um sie zu kümmern. Bei diesen Gedanken fiel ich in mich zusammen. Tagelang weigerte ich mich, irgendjemanden zu sehen – niemanden, außer dem Baby. Aber dass ich sie an jenem Abend allein angetroffen hatte, war ein glücklicher Zufall gewesen. Wann immer ich sie seither besuchen wollte, war Lily bei ihr, und ich brachte es nicht fertig, zu ihr hineinzugehen. Ich habe Lily sehr gern, aber ich konnte es nicht ertragen, sie mit meiner Tochter zu sehen. Mit der Zeit würde ich mich sicher damit abfinden, aber jetzt brauchte ich erst einmal Abstand. Gleason schüttelte den Kopf und sagte Dinge wie »Man bekommt das, womit man sich zufriedengibt, Michael.«
    Ich entgegnete, dass ich einfach das tun würde, was ich schon mein ganzes Leben lang tat. Ich würde mir höllische Mühe geben, meine Medikamente genau nach Vorschrift einzunehmen. Ich würde es weder verbergen noch vor mir selbst leugnen, wenn ich in Schieflage geriet. Für meine Tochter würde ich mich sogar noch mehr anstrengen als sonst, doch in Wahrheit hatte ich schon für ihre Mutter immer mein Bestes gegeben, weil ich für sie der Beste sein wollte, der ich nur sein konnte. Lucy war mein Sicherheitsnetz gewesen, wenn ich doch einmal stolperte, und das konnte ich unter keinen Umständen von meiner Tochter erwarten. Deshalb würden Lily und Ron Abbys Eltern sein. Das war das Beste, was ich für sie tun konnte. So sehr liebte ich sie.
    Nach Tagen inneren Aufruhrs gab der rationale Teil von mir schließlich auf und versank in noch tieferer Verzweiflung. Lucy war tot, das Baby für mich unerreichbar. Ich ging ins Bett, und dort blieb ich dann. Ich war so deprimiert wie selten zuvor. Ich wollte sterben, weigerte mich aber, mich umzubringen, weil meine Tochter erfahren würde, was ich getan hatte. Und so blieb ich aus Scham vor ihr am Leben.
    Als die Medikamente nichts halfen, schickte Gleason mich zu einer Selbsthilfegruppe, die das Krankenhaus förderte. Er machte meine Teilnahme an den Sitzungen zur Bedingung dafür, dass ich die Psychiatrie verlassen und zur Säuglingsstation hinaufgehen durfte. Weil der Anblick meiner Tochter das Einzige war, was mich durch den Tag brachte, zerrte ich mich also aus dem Bett und schleppte mich zu dieser Gruppe. Ich setzte mich auf einen Stuhl in einen Kreis trauriger Menschen, die alle mit ihren eigenen Verlusten rangen, ließ den Kopf hängen und weigerte mich, an den Gesprächen teilzunehmen. Aber ich hörte gezwungenermaßen, wie jemand, der klüger war als ich, ganz genau beschrieb, was ich empfand. Die Frau hatte ihre zwei Kinder bei einem Bootsunfall verloren, und man konnte förmlich hören, wie ihre Seele blutete. Sie sagte etwas sehr Scharfsinniges – dass ihre Trauer bodenlos sei und sie mit jeder Minute tiefer und tiefer in ihren Verlust hinabstürzte.
    Genauso fühlte ich mich auch. Ich hob den Kopf

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