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Tanz auf Glas

Tanz auf Glas

Titel: Tanz auf Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ka Hancock
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beide auf Abby hinab, die einzige Möglichkeit, unsere unbeholfene Verlegenheit zu verbergen. »Tja«, sagte sie dann, »sieht so aus, als hättest du hier alles unter Kontrolle. Dann gehe ich wohl wieder ins Bett.«
    »Könntest du sie nicht füttern, Lil? Mein Rücken ist schon ganz steif.«
    Lily lächelte mich an, und Tränen traten ihr in die Augen. Sie musterte mich einen Moment lang, wog mein Angebot ab und reckte sich dann auf die Zehenspitzen, um mich auf die Wange zu küssen. »Danke, Mickey.«
    Ich legte ihr Abby in die Arme und sah zu, wie unser launisches Baby diesmal bei Lil gleich ruhiger wurde. Lily zuckte mit den Schultern. »Sieht so aus, als hätte sie uns beide um den kleinen Finger gewickelt.«
    »Genau dasselbe habe ich gerade gedacht«, sagte ich und gab Lily das Fläschchen zurück.
     
    In dieser Nacht schlief ich nicht gut, und am nächsten Tag rief ich in Gleasons Praxis an und bat um einen Termin. Es war keiner frei, aber er wollte sich in seiner Mittagspause mit mir treffen, im Crab Shack in Woodbury. Als er mich sah, tat er, was er immer tut: Er umarmte mich. Nicht übertrieben, nur so, wie ein Vater seinen Sohn umarmen würde, der gerade eine schwere Zeit durchmacht.
    »Danke, dass du dir Zeit für mich nimmst«, sagte ich.
    »Du weißt doch, dass ich eine Einladung zum Mittagessen nicht ausschlagen kann. Also, was ist los?«
    Ich setzte mich und fuhr mir mit den Händen durchs Haar. »Ich weiß nicht, was los ist. Ich habe mich in mein Baby verliebt und halte es bei Ron und Lily nicht mehr aus. Und diese Situation wird von Tag zu Tag schwerer für mich.«
    »Tief durchatmen, Mic.«
    Ich sah ihn an. »Es war viel einfacher, als ich noch glaubte, ich könnte sie nicht lieben.«
    »Deine Tochter? Du kannst es ruhig aussprechen, Mickey.« Er sah mich durchdringend an.
    »Meine Tochter.« Doch dann nahm ich die Worte kopfschüttelnd zurück. »Nein, nein. Das kannst du nicht mit mir machen. Sie gehört zu Ron und Lily, und ich gebe dir ein Mittagessen aus, damit du mir sagst, wie ich das wieder in meinen Kopf bekomme.«
    »Na, dann fangen wir wenigstens mit einer ehrlichen Einschätzung an. Du liebst sie.«
    »Ja, ich liebe sie.«
    »Und sie wird bei Lily und Ron aufwachsen, weil du sie liebst.«
    »Ja. Genau so ist es.«
    »Das ist sehr edelmütig, Mickey. Und wo passt du da hinein?«
    »Das weiß ich noch nicht.«
    »Du bist ihr Vater. Du müsstest es wissen.«
     
    Im Laufe der nächsten drei Tage bereitete ich mich darauf vor, zu gehen. Was ich zu Ron gesagt hatte, war mein voller Ernst gewesen – an Heiligabend oder gar nicht. Doch wenn ich mir allzu realistisch vorstellte, tatsächlich nach Hause zu gehen, war mir gar nicht danach. Ich hatte schreckliche Angst davor, allein zu sein. Denn Alleinsein bedeutete, dass nichts mehr zwischen mir und dem Abgrund stand.
    Doch ich musste aus Lilys Haus verschwinden, und zwar möglichst bald, denn ich fühlte schon, wie meine Tochter zum festen Boden unter meinen Füßen wurde. Und Lily sah es auch.
    Gleichgültig, ob ich Abbys Windel wechselte, ihr ein Bad einließ oder sie bei einem ihrer Schreianfälle beruhigte – Lily beobachtete mich immerzu. Ich kam mir vor wie ein Eindringling.
    Der letzte Strohhalm ergab sich am Freitagabend, als Lily sie gerade fütterte. Abby vergaß zu atmen, und als sie dann nach Luft schnappte, bekam sie Milch in die falsche Kehle und begann zu würgen. Es hörte sich entsetzlich an, eher wie ein ersticktes Krächzen denn wie ein Husten, und es klang so unheilvoll, dass mir beinahe das Herz stehenblieb. Lily geriet in Panik. Ich glaube, sie kreischte sogar, und für mich spielte sich die grauenhafte Szene wie in Zeitlupe ab. Das Fläschchen fiel Lily aus der Hand und knallte auf die Fliesen. Abby lief rot an. Dann blau. Lily stammelte nur hilflos: »O Gott, o mein Gott.« Hände, die sich unabhängig von mir zu bewegen schienen, packten meine Tochter, drehten sie herum, so dass sie kopfüber in der Luft hing, und klopften ihr auf den Rücken. Husten, Weinen, die Milch rann meinen Arm hinab. Die Demütigung in Lilys Augen schlug in Ärger um.
    Später, als ich mit Dr. Sweeny am Telefon darüber sprach, ob Abby möglicherweise an Koliken litt, verhärtete derselbe Ausdruck Lilys Gesicht. Ich fragte mich ja nur, ob Fencheltee unserem häufig schreienden Baby guttun könnte – darüber hatte ich im Internet etwas gelesen. Aber anscheinend hatte ich damit etwas Unverzeihliches getan. Also überließ ich es Lily,

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