Tanz der Engel
Gesichtsausdruck brachte Aron zum Lachen. »Willst du etwa als Weihnachtsengel auftreten? Dann komme ich mit, besorg mir einen roten Mantel und lass mir einen weißen Bart wachsen.«
Aron wurde wieder ernst. »Du musst lernen, deine Flügel zu beherrschen, wenn du an Weihnachten bei deiner Familie sein möchtest. Durch den Sturz sind sie im Augenblick nicht bloß nutzlos, sondern auch extrem empfindlich. Nur wenn du ihre Energie in dir trägst und sie schützt, können sie sich vollständig regenerieren. Und in deinem Fall ist Christopher nun mal der beste Lehrer.«
Obwohl es mir schwerfiel, erklärte ich mich einverstanden, von Christopher unterrichtet zu werden. Die Hoffnung, meinen Weihnachtswunsch doch noch erfüllt zu bekommen, siegte über meine Bedenken.
Christopher wirkte unruhig, als er den von flackernden Kerzen erhellten Raum betrat. Sein Blick wanderte von Aron zu mirund wieder zurück. Erst als Aron ihn mit einem warnenden Augenrollen drängte, endlich an mein Wolkenwattebett zu treten, kam er näher.
»Chris, du musst sie schon anfassen, damit sie spüren kann, was sie tun soll. Du weißt genauso gut wie ich, dass sie nicht zerbrechlich ist.«
Christopher runzelte die Stirn. Er dachte an eine andere Art von Zerbrechlichkeit und zögerte, was Aron einen Seufzer entlockte, während ich meine Ängste wegsperrte – schließlich war morgen Weihnachten.
»So lange wie du mir keine Ohnmacht aufzwingst, ist alles okay«, behauptete ich.
Natürlich war es das nicht. Christophers Hände, die meinen Rücken berührten, mir über die Schultern strichen und weiter über meine empfindsamen Flügel, waren alles andere als harmlos. Ich zwang meine Augen, eines der Muster auf der gegenüberliegenden Wand zu fixieren, und presste die Lippen zusammen. Tausend Schauer jagten meine Flügel entlang. Jede Berührung fühlte sich intensiver an als die davor.
»Spürst du die Energie?«, fragte Christopher viel zu nah an meinem Nacken.
Ich nickte, unfähig zu antworten. Meine Gefühle für ihn hinderten mich daran, einen klaren Gedanken zu formulieren. Ich hasste und liebte ihn. Ich wollte, dass er aufhörte, mich zu berühren, und wünschte mir doch nichts sehnlicher, als in seinen Armen zu liegen. Zum Glück stellte er mir eine Aufgabe, an der ich mich festbeißen konnte.
»Gib der Kraft Raum. Lass sie in deine Flügel strömen, bis sie ganz von ihr durchdrungen sind.«
Energie. Kraft. Vertraute Begriffe und doch etwas völlig Unbekanntes. Ich suchte danach, spürte sie und wusste dennoch nicht, wie ich sie beeinflussen konnte.
Frust kochte in mir hoch, meine Hände verkrampften sichund weckten mein Dämonenerbe. Noch bevor ich Christopher abschütteln konnte, packte er meinen Kopf, drückte ihn nach unten und näherte sich meinem Mund.
»Nein! Tu das nicht!« Aron sprach meine Gedanken laut aus. »Gib ihr die Chance, sich selbst zu beruhigen. Sie schafft das.«
Christophers Lippen kamen kurz vor meinen zum Halt. Sein Atem streifte meine Wange. Er bemerkte, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich, und hielt die Luft an. Das kalte Jadegrün seiner Iris wurde wärmer.
Als hätte ich etwas Verlorengeglaubtes wiedergefunden, hielt ich mich an ihm fest. Meine Wut ebbte ab und schaffte Platz für etwas anderes – etwas Größeres. Ich schloss die Augen. Zu viel verrieten sie über meine Gefühle.
Aron gönnte mir eine Pause und schickte Christopher weg, um etwas Essbares zu holen. »Er wird lernen, auch dem Engel in dir zu vertrauen.«
»Und wenn nicht? Muss er mich jedes Mal in Ohnmacht küssen, sobald er denkt, dass ich austicke?!«
»Eigentlich nicht. Abgesehen davon wäre es für euch beide einfacher, wenn das mit dem Umkippen aufhören würde. Wie wollt ihr euch sonst wieder versöhnen?«
Ich errötete bis an die Haarwurzeln. Aron brach in schallendes Gelächter aus und steckte mich damit an. Erst Christophers Auftauchen ließ uns beide verstummen. Sein eisiger Blick wirkte wie ein kalter Regenguss.
Meine Stimmung kippte, weshalb ich beim nächsten Versuch schneller aus der Fassung geriet. Drohend stand Christopher am anderen Ende des Zimmers in Lauerstellung, während Aron beruhigend auf mich einredete.
»Ruh dich aus, wir werden später weitermachen«, beendete er schließlich die Sitzung, erhob sich von seinem Hocker und ging zur Tür. »Kommst du?«, fragte er Christopher.
»Ich bleibe hier.«
Aron zuckte mit der Schulter – obwohl ich ihm einen hilfesuchenden Blick zuwarf – und verließ den
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