Tanz der Hexen
können wir um Hilfe rufen. Edith war ganz allein, g e nau wie Gifford.«
»Du willst mich auf den Arm nehmen. Edith Mayfair ist tot? Das ist wirklich und wahrhaftig passiert?«
»Ja, glaub mir. Stell dir vor, wie Lauren zumute ist. Sie ist hi n gegangen, um ihr Vorwürfe zu machen, weil sie nicht auf Gi f fords Beerdigung war. Und da lag sie im Badezimmer auf dem Boden. Verblutet. Und ihre Katzen waren überall und leckten das Blut auf.«
Mona sagte eine Weile gar nichts. Sie mußte nachdenken – nicht nur über das, was sie wußte, sondern auch über die Fr a ge, wieviel sie den ändern erzählen könnte, und wozu es gut wäre.
»Soll das heißen, sie hatte auch eine Gebärmutterblutung?«
»Ja, möglicherweise eine Fehlgeburt, hieß es. Ich selbst wü r de ja sagen, das ist unmöglich, so wie ich Edith kenne. Es ist wie bei Gifford. Sie können beide nicht schwanger gewesen sein. Diesmal wird eine Autopsie vorgenommen. Zumindest tut die Familie also jetzt mehr, als nur Kerzen anzuzünden und Gebete zu sprechen und einander mit dem bösen Blick zu verfolgen.«
»Das ist gut«, sagte Mona mit dumpfer Stimme; sie zog sich in sich selbst zurück und hoffte, ihre Cousine werde mal für ein Weilchen den Mund halten.
Sie starrte die kahlen Wände der Halle an, die kargen Schilder und die großen, sandgefüllten Aschenbecher. Vor einer halben Stunde hatte sie fest geschlafen, als sie etwas geweckt hatte – ein Geruch, ein Lied von einem Victrola. Sie sah das offene Fenster vor sich, ganz hinaufgeschoben, und die Nacht dra u ßen, die sich hereinbeugte mit ihren dunklen Eiben und E i chen. Sie versuchte, sich an den Geruch zu erinnern.
»Sprich mit mir, Kind«, sagte Anne Marie. »Ich mache mir Sorgen um dich.«
»Ja, ja, aber mir fehlt nichts. Alles okay. Ich gehe jetzt hinauf zu Mutter.«
»Weck sie nicht auf.«
»Du sagst, sie schläft seit heute morgen? Vielleicht ist sie im Koma. Vielleicht ist sie tot.«
Anne Marie lächelte und schüttelte den Kopf. Sie griff nach ihrer Zeitschrift und fing wieder an zu lesen. »Fang keinen Streit mit ihr an, Mona«, sagte sie, als Mona sich zum Gehen wandte.
Die Aufzugtüren öffneten sich leise im sechsten Stock. Dort wurden die Mayfairs immer untergebracht, wenn es keine dringenden Gründe gab, sie auf eine Spezial-Station zu legen. Die Mayfairs hatten hier Zimmer mit Wohnräumen und kleinen Küchen, in denen sie sich Kaffee kochen oder ihre Eiscreme aufbewahren konnten. Alicia war schon hier gewesen – vie r mal genau gesagt: wegen Dehydrierung, wegen Unterernä h rung, mit einem gebrochenen Fußknöchel und wegen eines Selbstmordversuchs -, und sie hatte geschworen, sich nie wieder herbringen zu lassen. Wahrscheinlich hatten sie sie fixieren müssen.
Mona tappte leise den Korridor hinunter. Der Duft stieg ihr in die Nase, als sie die Tür zum Westflügel im sechsten Stock erreicht hatte. Das war er. Genau der gleiche Geruch.
Sie blieb stehen und atmete tief durch, und sie erkannte, daß sie zum ersten Mal im Leben wirklich Angst vor etwas hatte.
Wenn sie nur Michael bei sich hätte, dann würde sie die Au s gangstür einfach aufstoßen und nachsehen, ob jemand im Treppenhaus stand, der diesen Geruch verströmte.
Aber der Geruch war bereits schwach. Er verging. Und während sie noch dastand und darüber nachdachte und allmählich im stillen wütend wurde, weil sie nicht den Mumm hatte, die verfluchte Tür einfach aufzumachen, öffnete sie jemand a n ders, ließ sie wieder zuschwingen und ging den Gang hinu n ter. Ein junger Arzt mit dem Stethoskop über der Schulter.
Der Treppenabsatz war leer gewesen.
Sie stieß die Doppeltür zur Station auf. Der Geruch wurde stärker. Aber da saßen drei Schwestern in einer Insel aus Licht, umgeben von der hohen Holztheke, und schrieben; die eine sprach dabei leise in ein Telefon, und die ändern beiden wirkten äußerst konzentriert.
Niemand nahm Notiz von Mona, als sie an der Stationsaufnahme vorbeiging und in den schmalen Korridor einbog. Der Geruch war hier sehr stark.
»Lieber Gott, sag, daß es nicht so ist«, flüsterte Mona. Sie blickte im Vorübergehen auf die Türen rechts und links, aber der Geruch verriet es ihr, bevor sie das Schild las: »Alicia (CeeCee) Mayfair«.
Die Tür stand offen, und es war dunkel im Zimmer; hinter dem einzigen Fenster lag ein Treppenhaus. Eine kahle Wand star r te durch die Scheibe zu der reglosen Frau herein, die unter der weißen Decke lag, das Gesicht zur Wand gedreht. Eine
Weitere Kostenlose Bücher