Tanz der Hexen
waren die allerletzten Tage einer sehr alten Lebensart – die letzten Jahrzehnte, in denen die Großgrun d besitzer der Welt noch weitgehend so lebten, wie sie jahrhu n dertelang gelebt hatten.
Nicht nur, daß wir nichts wußten von Eisenbahnen, Telefonen, Victrolas oder pferdelosen Kutschen. Wir träumten nicht ei n mal von solchen Dingen!
Und Riverbend – das riesige Haupthaus, vollgestopft mit her r lichen Möbeln und Büchern, mit seinen zahlreichen Nebengebäuden, in denen Onkel, Tanten und Cousins wohnten, mit seinen Pflanzungen, die sich nach Süden, Osten und Westen erstreckten, so weit das Auge vom Flußufer aus reichte – R i verbend war wirklich das Paradies.
In diese Welt schlich ich mich beinahe unbemerkt. Ich war ein Knabe, und was diese Familie wollte, waren Hexen. Ich war nur ein Prinz des Blutes, und der Hof war ein liebevoller, freundlicher Ort, aber niemand bemerkte, daß ein kleiner Ju n ge geboren worden war, der vermutlich größere Hexenkräfte besaß als irgendein Mann oder eine Frau jemals zuvor in der Familie.
Ja, meine Großmutter Marie Claudette war so enttäuscht, weil ich kein Mädchen war, daß sie nicht mehr mit meiner Mutter Marguerite sprach. Marguerite hatte schon einen Knaben g e boren, meinen älteren Bruder Rémy, und nachdem sie nun die Kühnheit besessen hatte, noch einen zur Welt zu bringen, fiel sie vollends in Ungnade.
Natürlich korrigierte Marguerite diesen Fehler so bald wie mö g lich, indem sie 1830 Katherine bekam, die ihre Erbin und die Empfängerin des Vermächtnisses werden sollte – meine liebe kleine Schwester. Aber inzwischen hatte sich die Kälte zwischen Mutter und Tochter gefestigt, und zu Marie Claudettes Lebzeiten wollte sie nie mehr ganz vergehen.
Auch habe ich persönlich den Verdacht, daß Marie Claudette nur einen Blick auf Katherine warf und gleich dachte: »Was für eine Idiotin.« Denn das war Katherine, wie sich zeigen sollte. Aber eine weibliche Hexe wurde benötigt, und Marie Claudette wollte eine Enkeltochter sehen, ehe sie starb, und so war es dieses törichte Kind, das blökend in der Wiege lag, dem Marie Claudette den großen Smaragd hinterließ.
Als Katherine zur jungen Frau herangewachsen war, hatte ich, wie Sie wissen, selbst einigen Einfluß in der Familie erlangt; man schätzte mich sehr als Träger der Hexentalente, und ich war es, der – mit Katherine – Mary Beth Mayfair zeugte, die letzte der großen Mayfair-Hexen.
Ich war auch der Vater von Mary Beths Tochter Stella, wie Sie sicher ebenfalls wissen, und mit Stella zeugte ich ihre Tochter Antha.
Aber lassen Sie mich in die gefahrvollen Zeiten meiner frühen Kindheit zurückkehren, als Männer wie Frauen mich mit g e dämpfter Stimme zu warnen pflegten: Ich solle mich gut b e nehmen, keine Fragen stellen, mich in jeglicher Hinsicht an die Bräuche der Familie halten und mich nicht darum kümmern, sollte ich einmal etwas Sonderbares gewahren, das ins Reich der Geister und Gespenster gehörte.
Man machte mir ganz unmißverständlich klar, daß starken Mayfair-Männern nichts Gutes blühte. Früher Tod, Wahnsinn, Exil – das war das Schicksal derer, die Unruhe stifteten.
Wenn ich daran zurückdenke, erscheint es mir absolut unmöglich, daß ich zu einem jener großartigen passiven Braven hätte werden können, wie mein Onkel Maurice und Lestan und zahllose andere Musterknaben der Familie.
Zunächst einmal sah ich andauernd Geister. Ich hörte sie, sah das Leben entweichen, wenn ein Körper starb, konnte die Gedanken anderer Leute lesen und manchmal sogar Dinge b e wegen oder beschädigen, ohne daß ich wirklich wütend wurde oder es sonst wie beabsichtigte. Ich war ein naturbegabter kleiner Hexenmeister, oder wie immer die Bezeichnung dafür lauten mag.
Und ich kann mich an keine Zeit erinnern, da ich Lasher nicht hätte sehen können. Er stand so manchen Morgen neben dem Stuhl meiner Mutter, wenn ich hereinkam, um sie zu begr ü ßen. Ich sah ihn an Katherines Wiege stehen. Aber nie richtete er seinen Blick auf mich, und schon sehr früh hatte man mich davor gewarnt, je mit ihm zu sprechen oder nachzuforschen, wer er wohl sei, oder seinen Namen zu nennen oder seinen Blick auf mich zu lenken.
Meine Onkel, allesamt sehr glückliche Männer, sagten: »Bedenke stets, ein Mayfair-Mann kann alles haben, was er will -Wein, Weiber und Wohlstand weit über alle Vorstellungskraft hinaus. Aber er darf nicht danach trachten, die Familieng e heimnisse zu ergründen. Die laß in
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