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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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den Händen der großen Hexe, denn sie sieht alles und lenkt alles, und auf diesem Grundsatz ruht unsere gewaltige Macht.«
    Nun, ich wollte wissen, was dahinter steckte. Ich hatte nicht die Absicht, diese Situation einfach hinzunehmen. Und meine Großmutter, ohnehin keine Frau, über die man einfach hi n wegsah, wurde ein kraftvoller Magnet für meine Neugier.
    Unterdessen entfernte sich meine Mutter Marguerite mehr und mehr von mir. Sie fuhr ständig in die Stadt, zum Einkaufen, in die Oper, zum Tanzen, zum Trinken, Gott weiß, wozu noch, oder sie schloß sich in ihrem Arbeitszimmer ein und kreischte, es solle ja niemand wagen, sie zu stören.
    Ich fand sie natürlich überaus faszinierend. Aber meine Großmutter Marie Claudette war die beständigere Gestalt. Und in den Augenblicken meiner Muße – die freilich selten waren -, war sie eine große, unwiderstehliche Attraktion für mich.
    Aber jetzt will ich noch von meinen anderen Studien berichten. Die Bücher. Sie waren überall. Das war im alten Süden nicht so selbstverständlich, glauben Sie mir. Das Lesen war bei den Reichen nie sehr verbreitet; es ist eher eine Obsession der Mittelklasse. Aber wir alle waren Bücherliebhaber.
    Ich las alles. Ich las es, als ich noch nicht wußte, was es b e deutete, und ich las es, bis ich es verstand. Ich schleppte me i ne Bücher im Haus herum, zupfte an Röcken und Jackenärmeln und fragte: »Was bedeutet das?«, und ich bat Onkel, Tanten, Cousinen und Sklaven, mir besonders verwirrende Passagen laut vorzulesen.
    Wenn ich nicht las, ging ich mit den älteren Jungen auf Abenteuer aus, mit weißen und mit schwarzen; wir ritten auf ungesattelten Pferden oder zogen in die Sümpfe, um Schlangen zu fangen, oder wir kletterten auf die Sumpfzypressen und die Eichen, um nach Piraten Ausschau zu halten, die vom Norden her eindringen wollten. Mit zweieinhalb Jahren verirrte ich mich bei einem Unwetter im Sumpf; ich nehme an, daß ich dabei fast ums Leben gekommen wäre. Ich werde es nie ve r gessen. Und nachdem ich gefunden worden war, hatte ich nie wieder Angst vor Gewittern. Ich glaube, Donner und Blitze haben mir in jener Nacht halbwegs den kleinen Verstand aus dem Schädel geblasen. Ich schrie und schrie, und nichts pa s sierte. Das Gewitter ging immer weiter; ich starb nicht, und am nächsten Morgen saß ich mit meiner tränenüberströmten Mu t ter am Frühstückstisch.
    Was ich sagen will: Ich lernte aus allem, und es gab so vieles, aus dem ich lernen konnte.
    Mein wichtigster Lehrer in jenen ersten drei Jahren meines Lebens war eigentlich der Kutscher meiner Mutter, Octavius, ein freier Farbiger und ein Mayfair durch fünffache Abstammungslinien von den Altvorderen durch ihre verschiedenen schwarzen Mätressen. Octavius war damals gerade achtzehn und lustiger als irgend jemand sonst auf der Plantage. Meine Hexenkräfte machten ihm keine große Angst, und wenn er mir nicht gerade einschärfte, ich müsse sie vor aller Welt verbe r gen, erklärte er mir, wie ich sie benutzen müßte.
    Von ihm lernte ich zum Beispiel, wie ich die Gedanken anderer Leute erreichte, selbst wenn sie versuchten, sie bei sich zu behalten, und wie ich ihnen, ohne zu sprechen, Vorschläge machen konnte, die sie unweigerlich befolgten!
    Aber zurück zu den Hexen, und wie ich mich ihnen bekannt machte.
    Meine Großmutter Claudette war immer bei uns. Sie saß draußen im Garten mit einem kleinen Orchester aus schwa r zen Musikern, die für sie spielten. Es waren zwei prächtige Fiedler darunter, Sklaven alle beide, und mehrere Pfeifer, wie wir sie nannten; sie spielten aber hölzerne Flöten, sogenannte Blockflöten. Einer spielte eine Art Baßgeige, selbstgemacht, und einer schlug die Trommel und liebkoste sie mit seinen zarten Fingern. Marie Claudette hatte diesen Musikern ihre Stücke beigebracht, und bald erzählte sie mir, daß viele so l cher Lieder aus Schottland kämen.
    Mehr und mehr fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Der Lärm dort gefiel mir nicht, aber ich merkte, wenn ich sie dazu bri n gen konnte, mich in die Arme zu nehmen, dann war sie b e zaubernd und liebevoll und hatte mir Dinge zu sagen, die ebenso fesselnd waren wie das, was ich in unserer großen Bibliothek zu lesen bekam.
    Sie war eine majestätische Frau mit blauen Augen und weißem Haar, pittoresk anzusehen, wenn sie unter einem Baldachin, der ganz leicht im Wind flatterte, auf einem Korbsofa mit prächtigen Polstern ruhte und bisweilen leise auf Gälisch vor sich hin sang. Oder

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