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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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überhaupt die Treppe hatte herunterkommen können.
    Sie berührte leicht seine Wange. Sehr glatt rasiert. Er wachte nicht auf. Wieder tat er einen tiefen Atemzug, ein Gähnen war es fast, und es klang sehr männlich.
    Aber sie wußte, sie konnte ihn wecken; er lag schließlich nicht im Koma. Und dann kam ihr ein höchst beunruhigender Gedanke! Sie war heute abend schon mit David zusammengewesen! Verdammt! Sie hatte sich geschützt; das war hygienisch, aber trotzdem eine Sauerei. Sie konnte Michael nicht wecken, nicht bevor sie sich in eine schöne warme Badewanne gelegt hatte.
    Hmmm. Und das fiel ihr erst jetzt ein. Ihre Sachen waren i m mer noch schmutzig.
    Vielleicht war dies doch nicht die Nacht, um mit ihm ins Bett zu gehen. Nein, lieber wäre es ihr, wenn für diesen Angriff alles vollkommen wäre. Sie war ja nicht nur mit David zusamme n gewesen, sondern sie hatte sich auch noch mit Friedhofserde beschmutzt. Ja, sie hatte sogar noch ein paar welke Blätter im Haar, ganz wie Ophelia, was aber wahrscheinlich nicht sehr sexy wirkte.
    Vielleicht eignete sich diese Nacht besser dafür, den Dachboden abzusuchen. Das Victrola zu finden und es aufzuziehen. Vielleicht waren alte Platten dabei, die Platte, die die uralte Evelyn immer gespielt hatte. Vielleicht war es an der Zeit, O n kel Julien hier im Dunkeln zu begegnen, und überhaupt nicht der richtige Augenblick, um mit Michael ins Bett zu gehen?
    Sie berührte Michaels Kinn, den Rand seines Ohrs, den Hals. Sie fühlte sein schwarzes, lockiges Haar. Oh, es gab nichts Weicheres, Feineres als schwarzes, lockiges Haar. Ihre Mutter und Gifford hatten so feines schwarzes Haar. Monas rote Ha a re würden niemals weich sein. Sie roch den Duft seiner Haut, sehr fein und schön warm, und sie beugte sich hinunter und küßte ihn auf die Wange.
    Seine Augen klappten auf, aber anscheinend sah er nichts. Sie ließ sich neben ihn sinken – konnte einfach nicht anders, obwohl sie wußte, daß sie in seine Privatsphäre eindrang -, und er drehte sich um. Was war denn ihr Plan? Hmmm… Sie fühlte plötzlich ein solches Verlangen nach ihm. Es war nicht mal erotisch. Es war alles irgendwie schwindelerregend r o mantisch. Sie wollte seine Arme um sich fühlen; sie wollte, daß er sie hochhob; sie wollte, daß er sie küßte. Normale Di n ge eben. Männerarme, keine Knabenarme. Sie sollten tanzen. Ja, es war einfach wunderbar, daß an ihm nichts Knabenha f tes war; er war durch und durch wildes Tier, auf eine Art, wie manche Männer es niemals sein würden, rauh und zerklüftet und überwuchert, mit hautfarbenen Lippen und leicht wilden Brauen.
    Sie merkte, daß er sie anschaute, und im gleichmäßigen Licht von der Straße war ihr Gesicht blaß, aber klar.
    »Mona!« flüsterte er.
    »Ja, Onkel Michael. Sie haben mich vergessen. Es ist etwas drunter und drüber gegangen. Kann ich hier übernachten?«
    »Aber Honey, wir müssen deine Eltern anrufen.«
    Er wollte sich aufsetzen, herrlich zerzaust wie er war. Schwarzes Haar fiel ihm über die Augen. Aber er stand wirklich unter Drogen; daran war kein Zweifel.
    »Falsch, Onkel Michael«, sagte sie schnell, aber sanft. Sie legte ihre Hand auf seine Brust. Ah, Wahnsinn. »Dad und Mom schlafen. Sie glauben, ich bin bei Onkel Ryan draußen in Metairie. Und Onkel Ryan denkt, ich bin bei meinen Eltern zu Hause. Ruf niemanden an. Sonst regen sich bloß alle auf, und ich muß ganz allein mit dem Taxi nach Hause fahren, und das will ich nicht. Ich möchte über Nacht hier bleiben.«
    »Aber sie werden merken…«
    »Wer, meine Eltern? Du kannst mir glauben, sie werden übe r haupt nichts merken. Hast du meinen Dad heute abend ges e hen, Onkel Michael?«
    »Ja, Honey.« Er versuchte ein Gähnen zu unterdrücken, aber es gelang ihm nicht. Plötzlich sah er sehr besorgt um sie aus, als gehöre es sich nicht, zu gähnen, während man über ihren alkoholkranken Vater sprach.
    »Er wird nicht mehr sehr lange leben«, sagte sie in gelangweiltem Ton. Sie wollte auch nicht über ihn reden. »Ich kann es in der Amelia Street nicht aushalten, wenn sie beide b e trunken sind. Es ist niemand da außer der uralten Evelyn, und die schläft nicht mehr. Sie beobachtet nur.«
    »Die uralte Evelyn«, sagte er versonnen. »Was für ein hübscher Name. Kenne ich die uralte Evelyn?«
    »Nein. Sie geht nie aus dem Haus. Sie hat ihnen einmal g e sagt, sie sollten dich mitbringen, aber sie haben es nie getan. Sie ist meine Urgroßmutter.«
    »Ach ja, die Mayfairs aus

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