Tanz der Hexen
der Amelia Street«, sagte er. »Das große rosarote Haus.« Wieder gähnte er ein bißchen und zwang sich zu einer aufrechteren Position. »Bea hat mir das Haus mal gezeigt. Hübsch. Im Italianatenstil. Bea sagt, Gifford ist da großgeworden.«
Italianaten. Eine Architekturbezeichnung. Spätes neunzehntes Jahrhundert. »Yeah, na ja, New-Orleans-Konsolenstil, so ne n nen wir das«, sagte sie. »1882 erbaut, einmal von einem A r chitekten namens Sully umgestaltet. Vollgestopft mit allem möglichen Mist von einer Pflanzung namens Fontrevault.«
Er war fasziniert. Aber sie wollte nicht über Geschichte und Stuck reden.
»Also, läßt du mich bitte hier bleiben?« fragte sie. »Ich muß jetzt wirklich, wirklich, wirklich hier bleiben, Onkel Michael. Ich meine, es gibt eigentlich keine andere Möglichkeit mehr, logisch gesehen, meine ich. Ich sollte hier bleiben.«
Er lag in den Kissen und hatte Mühe, die Augen Offen zu ha l ten. Sie griff plötzlich nach seinem Handgelenk. Er schien nicht zu wissen, was sie da tat – daß sie seinen Puls fühlte, wie ein Arzt es tun würde. Seine Hand war schwer und ein bißchen kalt, zu kalt. Aber der Herzschlag war gleichmäßig. Das war okay. Er war nicht annähernd so krank wie ihr Vater. Ihr Vater würde keine sechs Monate mehr leben. Aber bei dem war es nicht das Herz, sondern die Leber.
Wenn sie die Augen schloß, konnte sie die Kammern von M i chaels Herz sehen. Dann sah sie Dinge, die so brillant und unbenennbar und komplex waren wie ein modernes Gemälde – ein Gewirr von gewagten Farben und Klumpen und Linien und schwellenden Formen! Ah. Er war okay, dieser Mann. Wenn sie es tatsächlich schaffte, heute nacht mit ihm ins Bett zu gehen, dann würde es ihn nicht umbringen.
»Weißt du, was im Moment dein Problem ist?« fragte sie. »Diese ganzen Medizinfläschchen. Schmeiß sie in den Müll. Soviel Medizin, davon wird jeder krank.«
»Meinst du?«
»Du sprichst mit Mona Mayfair, einem zwanzigfachen Mitglied der Familie Mayfair, die Dinge weiß, die andere nicht wissen. Onkel Julien war dreimal mein Urgroßvater. Weißt du, was das bedeutet?«
»Drei Abstammungslinien von Julien?«
»Ja. Und dann die ganzen verflochtenen Linien von allen a n deren. Ohne Computer würde das kein Mensch mehr zusammenbekommen. Aber ich habe einen Computer, und ich habe es entwirrt. Ich habe mehr Mayfair-Blut in meinen Adern als irgend jemand sonst in der ganzen Familie. Das kommt alles daher, weil meine Eltern als Cousin und Cousine eigentlich zu eng miteinander verwandt waren, um zu heiraten, aber mein Vater hat meine Mutter geschwängert, und damit hatte sich’s. Außerdem sind wir alle so quer durch die Betten miteinander verheiratet, daß es darauf auch nicht mehr ankommt…«
Sie brach ab; sie verfiel in ihre Schwatznummer. Zuviel Gerede für einen Mann in diesem Alter, der so schläfrig war. Sie mußte listiger sein. »Du bist ganz in Ordnung, Big Boy«, sagte sie. »Schmeiß die Medikamente weg.«
Er lächelte. »Du meinst, ich werde es überleben? Ich werde wieder auf Leitern klettern und den Hammer schwingen?«
»Du wirst den Hammer schwingen wie Thor«, sagte sie. »Aber du mußt diese ganzen Beruhigungsmittel absetzen. Ich weiß nicht, warum sie dich so unter Drogen setzen; wahrscheinlich haben sie Angst, daß du dich wegen Tante Rowan zu Tode grämst, wenn sie es nicht tun.«
Er lachte leise und nahm mit sichtlicher Zuneigung ihre Hand. Aber ein dunkler Schatten lag auf seinem Gesicht, in seinen Augen und für einen Moment auch in seiner Stimme. »Aber du hast mehr Vertrauen zu mir, nicht wahr, Mona?«
»Absolut. Aber ich bin auch verliebt in dich.«
»O nein!« sagte er spöttisch.
Sie hielt seine Hand fest, als er sie wegziehen wollte. Nein, seinem Herzen fehlte überhaupt nichts mehr. Es waren die Medikamente, die so auf ihn wirkten.
»Ich bin verliebt in dich, aber du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen, Onkel Michael. Du mußt dich nur als würdig erweisen.«
»Genau. Erweise dich als würdig, das dachte ich auch gerade. Ein nettes kleines Mädchen von der Schule zum Heiligen Herzen.«
»Onkel Michael, biiiitte!« sagte sie. »Ich habe mein erstes er o tisches Abenteuer mit acht erlebt. Ich bin eine erwachsene Frau, die nur so tut, als sei sie das kleine Mädchen, das hier an deiner Bettkante sitzt. Glaub mir, ich bin nicht das, was ich zu sein scheine.«
Er lachte überaus wissend, überaus ironisch.
»Und was ist, wenn meine Frau, Rowan, nach
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