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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Vorlage im Britischen Museum.
    »Die Stadt erreichte den Höhepunkt ihrer Blüte im fünfzehnten Jahrhundert. Es deutet manches darauf hin, daß es eine Marktstadt war. Der See war damals ein echter Hafen. Es heißt, die Kathedrale sei prachtvoll gewesen. Nicht die Kirche, von der Beda spricht, wohlgemerkt, sondern eine Kathedrale, deren Bau Jahrhunderte dauerte, stets unter den Fittichen des Clans von Donnelaith, der diesem Heiligen treu ergeben war und ihn als den Beschützer aller Schotten betrachtete, der die Nation dereinst erretten würde. Sie sollten ins Glen hinauffahren und sehen, wie wenig noch übrig ist. Eine Burg, ein heidnischer Steinkreis, die Grundmauern der Stadt, inzwischen völlig überwuchert, und dann die schrecklichen Ruinen der Kathedrale.«
    »Aber was ist denn passiert? Wieso meinen Sie, das Christentum des Ortes sei sein Untergang gewesen?«
    »Diese Hochlandkatholiken fügten sich niemandem«, sagte er. »Nicht Heinrich VIII. als er sie zu seiner neuen Kirche im Namen von Anne Boleyn bekehren wollte, und auch nicht dem großen Reformator John Knox. Aber es war John Knox – oder seine Anhänger -, die sie vernichteten.«
    Ich schloß die Augen; ich sah die Kathedrale. Ich sah die Flammen und das bunte Glas, das in alle Richtungen auseinander flog. Schaudernd öffnete ich die Augen.
    »Sie sind ein sonderbarer Mann«, bemerkte er. »Sie haben irisches Blut, nicht wahr?«
    Ich nickte und nannte ihm den Namen meines Vaters. Er war höchst verwundert. Natürlich erinnerte er sich an Tyrone McNamara, den großen Sänger. »Und Sie sind sein Sohn?«
    »Aye«, sagte ich. »Aber erzählen Sie weiter. Wie haben Knox’ Anhänger Donnelaith zerstört? Ach, und das bunte Glas. Es gab doch Buntglas dort, oder? Woher ist es gekommen?«
    »Sie haben es dort hergestellt«, sagte er. »Das ganze dreizehnte und vierzehnte Jahrhundert hindurch. Franziskanermönche aus Italien.«
    »Franziskaner aus Italien. Sie meinen, der Orden des Hl. Franz von Assisi war hier?«
    »Auf jeden Fall. Der Orden des Hl. Franziskus war populär bis in die Zeit von Anne Boleyn. Die frommen Brüder boten Katharina Zuflucht, als Heinrich sich von ihr scheiden ließ. Wie auch immer – als König Heinrich mit dem Papst brach und sich daran machte, die Klöster im ganzen Land zu plündern, da vertrieb der Clan von Donnelaith seine Soldaten, ohne einen Augenblick zu zögern. Schreckliche, schrecklich blutige Schlachten im Glen. Und selbst den tapfersten englischen Soldaten graute es davor, dort hinaufzugehen.«
    »Wie hieß der Heilige?«
    »Ich weiß es nicht. Der Heilige war schon 1559 verschwunden, wer immer er gewesen sein mochte, Gott hab ihn selig. Sein Kult verschwand mit der Kathedrale. Danach finden Sie dort nur noch eine kleine presbyterianische Stadt und außerhalb davon den ›abscheulichen‹ heidnischen Steinkreis.«
    »Was wissen wir speziell über die heidnischen Legenden?« fragte ich.
    »Nur, daß es immer noch welche gibt, die daran glauben. Hin und wieder kommen Leute von weit her, aus Italien sogar; sie fragen dann nach den Steinen, sie suchen die Straße nach Donnelaith. Sie fragen sogar nach der Kathedrale. Ja, ich sage Ihnen die Wahrheit: Sie fragen nach dem Glen von Donnelaith, und dann reisen sie dort hinauf und schauen sich um, und sie suchen etwas. Und jetzt sind Sie hier und stellen auf Ihre Art im Grunde die gleichen Fragen. Der letzte, der kam, war ein Gelehrter aus Amsterdam.«
    »Aus Amsterdam?«
    »Ja, es gibt dort einen gelehrten Orden. Sie haben auch in London ein Mutterhaus. Im Laufe meines Lebens sind sie an die sechs Mal gekommen, um das Glen zu erforschen. Sie haben einen sehr seltsamen Namen. Ihr Name ist unvergeßlich.«
    »Wie lautet er?« fragte ich.
    »Talamasca«, sagte er. »Sie sind wirklich höchst gebildete Leute mit einem großen Respekt vor Büchern. Hier, sehen Sie dieses kleine Stundenbuch? Das ist ein Juwel! Sie haben es mir geschenkt. Sie bringen mir immer etwas mit. Sehen Sie das hier? Eine der ersten King-James-Bibeln, die gedruckt wurden. Die haben sie bei ihrem letzten Besuch mitgebracht. Sie campieren in diesem Glen, wirklich. Sie bleiben wochenlang da, und dann gehen sie wieder fort, unweigerlich enttäuscht.«
    Ich war außer mir vor Aufregung. Einen Augenblick lang konnte ich nur noch an die merkwürdige Geschichte denken, die Marie Claudette mir erzählt hatte, als ich gerade drei Jahre alt gewesen war: Wie ein Gelehrter aus Amsterdam nach Schottland gekommen war und

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