Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
Riverbend waren. Vertraue darauf, daß wir triumphieren werden.«
    Nächte vergingen. Ich lag wach; ich brauchte keinen Schlaf mehr.
    Inzwischen wußte ich, daß Evelyn mein Kind unter dem Herzen trug. Gott hat keine Nachsicht mit alten Männern! Wir brennen, wir zeugen. Was für eine schreckliche Situation! Aber das Mädchen selbst schien es gar nicht zu wissen. Ich sagte es ihr nicht.
    Nur Cortland konnte ich mich anvertrauen; ich rief ihn zu mir und hielt ihm endlose Vorträge. Ich wußte, wenn erst alle wüßten, daß Evelyn schwanger war, würden die Fetzen fliegen, wie man so sagt. Ich konnte nur auf die Edikte und Verfügungen bauen, die ich bis zum Überdruß erlassen hatte: daß dieses Kind in den kommenden Jahren beschützt werden müsse, was auch immer passieren mochte.
    Und eine Nacht brach an, friedlich und warm. Es muß die Mittsommernacht gewesen sein, als ich starb! Ganz sicher. Die Myrten standen voll rosaroter Blüten. Gewiß habe ich mir so etwas nicht eingebildet.
    Ich hatte alle fortgeschickt. Ich wußte, daß es kam. Ich lag still auf einem Berg Kissen und schaute hinaus zu den Wolken über den Myrten.
    Ich wollte zurück, zurück nach Riverbend, ich wollte bei Marie Claudette sitzen. Ich wollte wissen, wollte ehrlich wissen, wer dieser junge Mann gewesen war, der Sklaven entführt und zu Marguerite gebracht hatte, damit sie ihre wüsten Experimente durchführte. Wer war dieser gedankenlose Knabe gewesen?
    Ich lag da, und eine überaus furchtbare Wahrheit ergriff mich. Eine kleine Wahrheit im Grunde: Ich konnte mich nicht bewegen. Ich konnte mich nicht aufrichten. Meine Arme gehorchten mir nicht. Der Tod stahl sich über mich wie die Winterkälte. Er ließ mich gefrieren.
    Und als gäbe es einen Gott der Raconteure und Lüstlinge, erschien Evelyn über der Dachkante, und ihre weißen Hände umklammerten die grünen Ranken.
    Sie kam über das Dach der Veranda herauf, und ich hörte ihre Stimme durch die dicke Scheibe. »Mach das Fenster auf, Onkel Julien! Ich bin’s, Evie, mach auf!«
    Ich konnte mich nicht rühren. Ich starrte sie an, und meine Augen schwammen in Tränen. »Oh, Darling«, flüsterte ich in meinem Herzen.
    Und dann wandte Evie ihre Hexenkräfte auf, und mit ihren Händen und diesen Kräften ließ sie das Fenster ratternd hochfahren. Sie langte herein und umfaßte meine Schultern; so gebrechlich und klein muß ich da gewesen sein. Sie zog mich hoch und küßte mich.
    »Oh, Darling, ja, ja…«
    Und hinter ihr braute sich das Unwetter zusammen und breitete sich über den ganzen Himmel aus. Ich hörte, wie die ersten Regentropfen unter ihr auf das Dach der Veranda schlugen. Ich fühlte sie auf meinem Gesicht. Ich sah, wie die Bäume wütend zu schwanken begannen. Und ich hörte den Wind heulen, als ob er heulte, als peitschte er die Bäume und weine in seinem Schmerz, wie er beim Tode meiner Mutter geweint hatte, und beim Tode ihrer Mutter.
    Ja, es war ein Unwetter zum Hexentod, und ich war der Hexenmeister, der starb. Es war mein Tod und mein Unwetter.

 
24

    Sie standen in der Mitte und bildeten einen ungleichmäßigen Kreis. Was war dieses leise, mahlende Geräusch? War es Donner?
    Sie waren die gefährlichsten Leute, die er je gesehen hatte. Unwissenheit, Armut – das war ihr Erbe, und allenthalben sah er die verbreiteten Gebrechen der Armen und der Unbehüteten: den Buckligen, den Mann mit dem Klumpfuß, das Kind, dessen Arme zu kurz waren, und all die anderen, schmalgesichtig, struppig, in ihren grauen und braunen Kleidern mißgestaltet und furchterregend anzusehen. Das mahlende Geräusch ging unaufhörlich weiter, zu monoton für Donner. Konnten sie es auch hören?
    Der Himmel lastete auf ihnen, drückte auf den Grasgrund des Glen. Tatsächlich waren Zeichen in die Steine gemeißelt; der alte Mann in Edinburgh hatte Julien die Wahrheit gesagt. Die Steine waren gewaltig, und sie standen alle zusammen im Kreis.
    Er richtete sich auf. Ihm war schwindlig. Er sagte: »Ich gehöre nicht hierher. Dies ist ein Traum. Ich muß dahin zurück, wo ich hingehöre. Ich kann hier nicht aufwachen. Aber ich weiß nicht, wie ich dorthin zurückkommen soll.« Das mahlende Geräusch machte ihn wahnsinnig. Es war so dunkel, so hartnäckig. Ob sie es auch hörten?
    »Wir würden dir gern helfen«, sagte einer der Männer, ein großer Mann mit fließendem grauem Haar. Er trat aus dem kleinen Kreis hervor. Er trug eine schwarze Kniehose, und sein Mund war unter dem grauen Schnurrbart nicht zu

Weitere Kostenlose Bücher