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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Ich hätte es wahrscheinlich auch tun können, aber Rowan wollte es natürlich nicht. Wie auch? Dieses neugeborene Wesen, dieses Mysterium. So kommt es ja immer. Es verführt die Menschen. Und jetzt ist es Fleisch. Wie heißt es in der Offenbarung: ›Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.‹«
    Aaron nickte. »Lassen Sie es mich noch einmal laut aussprechen«, sagte er mit leiser Stimme, »damit ich aufhören kann, es wieder und wieder in meinem Herzen und in meiner Seele zu sagen. Ich hätte am Weihnachtsabend mit Ihnen hier herkommen sollen. Ich hätte Sie nicht allein gegen ihn antreten lassen dürfen, allein gegen ihn und sie.«
    »Sie dürfen sie nicht verurteilen.«
    »Das tue ich nicht. So habe ich es nicht gemeint. Ich meine nur, ich hätte hier sein sollen, mehr nicht. Wenn es noch wichtig ist: Ich habe nicht vor, Sie jetzt im Stich zu lassen.«
    »Es ist wichtig.« Michael zuckte mit den Achseln. »Aber wissen Sie, ich habe ein merkwürdiges Gefühl. Es wird leicht sein, nachdem ich mich nun einmal entschlossen habe, es zu töten.« Er schnippte mit den Fingern. »Das ist mein Problem. Von Anfang an hatte ich Angst davor.«
    Es war acht Uhr. Dunkel, kalt. Man konnte die Kälte fühlen, wenn man die Hände an die Fensterscheiben legte.
    Aaron war eben zurückgekommen, um mit Yuri zu Abend zu essen. Yuri kehrte jetzt in die Amelia Street zurück, um mit Mona zu sprechen; er war rot geworden, als er es gesagt hatte. Michael hatte erkannt, weshalb: Yuri war in Mona verschossen. »Sie erinnert mich daran, wie ich selbst in ihrem Alter war«, hatte Yuri gestammelt. »Sie ist ungewöhnlich. Sie hat gesagt, sie will mir alle ihre Computertricks zeigen. Wir wollen… uns unterhalten.«
    Aufgescheucht, stammelnd, errötend. Ah, Mona und ihre Macht, dachte Michael. Und jetzt hatte sie das Vermächtnis hinter sich und alles andere sowieso.
    Aber Yuri hatte etwas Reines an sich; er war rein und loyal und gut.
    »Man kann ihm vertrauen«, hatte Aaron leise gesagt. »Er ist ein Gentleman, und er ist ehrenhaft. Mona wird in seiner Gesellschaft völlig sicher sein. Keine Angst.«
    »Um Mona braucht niemand Angst zu haben«, sagte Michael ein bißchen beschämt; er verspürte einen Hauch jener sinnlichen Augenblicke, als er sie im Arm gehalten und gewußt hatte, daß es unrecht war und daß es passieren würde – na und?
    Es war so selten vorgekommen, daß Michael »Na und?« gesagt hatte, wenn er etwas Unrechtes getan hatte.
    Aaron schlief jetzt oben.
    »Männer meines Alters machen nach dem Essen ein Nickerchen«, hatte er entschuldigend bemerkt, und dann hatte er sich hingelegt. Er war völlig erschöpft, und Michael wollte jetzt auch nicht mehr über Julien reden; vielleicht war es am besten so, denn Aaron hatte die Ruhe nötig.
    Nur du und ich, Julien, dachte Michael.
    Es war still im Haus.
    Hamilton war nach Hause gefahren, um ein paar Rechnungen zu bezahlen. Bea würde später wiederkommen. Nur eine Krankenschwester tat jetzt Dienst; mit allem Geld der Welt war keine zweite zu beschaffen, so groß war der Personalmangel auf diesem Gebiet. Eine Schwesternhelferin, sehr fähig, war oben in Tante Vivs Zimmer und telefonierte nunmehr seit einer dreiviertel Stunde.
    Er hörte ihre Stimme, wie sie anschwoll und wieder abschwoll. Er stand im Wohnzimmer und schaute hinaus in den seitlichen Garten. Dunkelheit. Kälte. Erinnerungen. Die Trommeln des Comus.
    Es hörte sich an, als ob die Schwesternhelferin weinte. Unmöglich. Schritte vibrierten leise. Die Haustür schloß sich. Das war alles so weit weg von ihm; Leute kamen und gingen. Wenn es ihr schlechter ginge, würden sie ihn rufen.
    Und er würde die Treppe hinaufrennen – aber wozu? Um da zu sein, wenn der Atem erstarb. Um ihre kalte Hand zu halten. Um seinen Kopf auf ihre Brust zu legen und die letzte Wärme in ihr zu spüren. Woher wußte er, daß es so sein würde? Hatte es ihm jemand erzählt? Oder war es nur so, daß ihre Hände immer kälter und kälter und steifer und steifer wurden? Wenn er auf ihre Fingernägel schaute, ihre hübschen, sauberen Fingernägel, dann waren sie ein bißchen bläulich.
    Die Bewegungen der dunklen Bäume draußen ließen ihn frösteln. Es fröstelte ihn, sie nur anzuschauen. Er wollte nicht hier sein und durch das Fenster in den kalten, leeren Garten schauen. Er wollte im Warmen sein, und bei ihr.
    Er drehte sich um und ging langsam zurück, durch den Doppelsalon und unter dem mit wunderschönen Ornamenten

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