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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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gesagt. Er hat mich gebeten, herzukommen.«
    Er betrat das Zimmer. Die Kerzen waren die einzige Beleuchtung. Sie brannten auf dem kleinen Altar, und der Schatten der Jungfrau stieg zitternd und tanzend wie zuvor an der Wand empor. Rowan lag im Bett; ihre Brüste hoben und senkten sich unter dem neuen rosaroten Satinnachthemd, das sie ihr angezogen hatten. Ihre Finger krümmten sich nach innen. Ihr Mund stand offen. Sie lebte. Unverändert.
    Er fiel neben dem Bett auf die Knie; er ließ den Kopf darauf sinken und weinte. Er nahm ihre kalte Hand und drückte sie; er spürte ihre Biegsamkeit und den winzigen Rest von menschlicher Wärme, der noch da war. Sie lebte.
    »O Rowan, meine Liebste, Liebste«, sagte er. »Ich dachte…« Und er schluchzte wie ein Kind.
    Er ließ das Schluchzen langsam hervorquellen. Er wußte, daß Aaron in der Nähe war. Er wußte, daß auch der andere Mann da war. Und er blickte langsam auf und sah die Gestalt am Fußende des Bettes. Der Priester. Der Gedanke schoß ihm augenblicklich durch den Kopf, als er die altmodische Soutane aus schwarzem Wollstoff sah, den weißen römischen Kragen. Aber das war kein Priester.
    »Hallo, Michael.«
    Eine sanfte Stimme. So groß, wie alle gesagt hatten. Lange schwarze Haare bis auf die Schultern, ein wunderschön gepflegter, glänzender Bart – ein grausiger Christus oder ein Rasputin, mit bleichem, tränennassem Gesicht.
    »Auch ich habe um sie geweint«, sagte der Mann beinahe flüsternd. »Jetzt ist sie dem Tode nahe. Sie wird nicht mehr gebären; sie wird nicht mehr lieben. Nur noch wenig Milch war in ihr. Sie ist fast fort.«
    Er hielt den Bettpfosten mit der linken Hand umfaßt.
    »Lasher!«
    Und plötzlich vollkommene Monstrosität: ein Mann, der größer war als normale Menschen. Eine schmächtige Gestalt, und doch die perfekte Inkarnation des Bedrohlichen mit diesen blauen Augen, die ihn eindringlich fixierten, mit dem lebendigen Mund unter dem schwarz glänzenden Schnurrbart, mit den weißen Fingern, lang und knochig, die den Bettpfosten praktisch umflochten. Monströs.
    Töte es. Jetzt gleich.
    Er war sofort wieder auf den Beinen, aber Stolov hielt seine Taille umschlungen. »Nein, Michael, nicht, tun Sie ihm nichts! Das dürfen Sie nicht!«
    Und dann packte ihn ein weiterer Mann, ein Fremder, am Hals, und Aaron flehte ihn an, sich zurückzuhalten und zu warten.
    Die Gestalt am Bett blieb stehen, regungslos. Mit einer langsamen, trägen Bewegung der rechten Hand wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht.
    »Warten Sie, Michael. Warten Sie«, sagte Aaron. »Stolov, lassen Sie ihn los. Sie auch, Norgan. Treten Sie zurück, Michael. Wir haben ihn umzingelt.«
    »Nur, wenn er es nicht tötet«, sagte Stolov. »Er darf es nicht töten.«
    »Einen Dreck darf ich«, sagte Michael. Er bäumte sich auf, versuchte Stolov abzuschütteln, aber der andere Mann hatte seinen Arm allzu fest um seinen Hals geschlungen. Stolov löste seinen Griff und atmete tief durch.
    Die Kreatur sah ihn an. Ihre Tränen flössen weiter, schweigend, beredt.
    »Ich bin in Ihrer Hand, Mr. Stolov«, sagte Lasher. »Ich gehöre Ihnen.«
    Michael rammte dem Mann hinter sich den Ellbogen in den Leib und schleuderte ihn rückwärts gegen die Wand. Dann stieß er Stolov zur Seite und hatte sich im nächsten Moment auf Lasher gestürzt und ihm die Hände um die Gurgel gelegt. Die Kreatur schnappte in rauhem Entsetzen nach Luft und packte Michael bei den Haaren. Zusammen fielen sie auf den Teppich. Aber die beiden anderen Männer hatten Michael schon wieder gefaßt; sie zerrten ihn zurück, rissen ihn mit aller Kraft los, und Aaron, sogar Aaron, bog seine Finger am Hals der Kreatur auseinander. Aaron. O Gott.
    Einen Augenblick lang war Michael dicht davor, ohnmächtig zu werden. Der Schmerz in seiner Brust war scharf und unerbittlich. Er fühlte ihn in der Schulter und bis in den linken Arm hinein. Sie hatten ihn losgelassen, denn jetzt saß er an den Kamin gelehnt auf dem Boden, außerstande, jemandem etwas anzuhaben. Lasher rang immer noch nach Atem; langsam und benommen kam er wieder auf die Beine. Eine schmale Gestalt in fließender schwarzer Soutane. Die Männer blieben rechts und links von Michael stehen.
    »Warten Sie doch, Michael«, flehte Aaron. »Wir sind zu viert gegen ihn.«
    »Tun Sie ihm nichts, Michael«, sagte Stolov so sanft wie zuvor.
    »Ihr laßt ihn entkommen«, sagte Michael in rauhem Flüsterton. Aber als er aufschaute, sah er die hochgewachsene,

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