Tanz der Hexen
gertenschlanke Gestalt, die auf ihn herabsah; die blauen Augen schwammen in Tränen, und die Tränen rannen über die glatten weißen Wangen herunter. Wenn Christus zu dir käme, dachte Michael, dann würdest du dir wünschen, daß er so aussähe. So hatten die Maler ihn wiedergegeben.
»Ich fliehe nicht«, sagte Lasher ruhig. »Ich werde mitgehen, wenn sie mich fortbringen, Michael. Die Männer von der Talamasca. Ich brauche sie jetzt. Und das wissen sie. Und sie werden nicht erlauben, daß du mich noch einmal angreifst.« Er wandte sich der Gestalt im Bett zu. »Ich bin gekommen, um meine Geliebte zu sehen. Ich mußte sie sehen, bevor sie mich fortbringen.«
Michael versuchte aufzustehen. Ihm war schwindlig, und der Schmerz setzte wieder ein. Verflucht, Julien, gib mir die Kraft, es zu tun. Zur Hölle damit. Der Revolver, der Revolver liegt dort am Bett. Er liegt oben auf dem Nachttisch, der große Revolver! Er wollte es laut zu Aaron sagen. Erschießen Sie ihn. Drücken Sie ab und blasen Sie ihm ein Loch in den Kopf, so groß wie ein Auge!
Stolov kniete vor ihm nieder. Stolov sagte: »Beruhigen Sie sich, Michael. Beruhigen Sie sich. Versuchen Sie, ihm nichts anzutun. Wir werden ihm nicht erlauben, von hier fortzugehen, bis wir ihn selbst fortbringen.«
»Ich bin bereit«, sagte Lasher.
»Michael«, sagte Stolov, »schauen Sie ihn an. Er ist jetzt hilflos. Er ist in unserer Hand. Bitte beruhigen Sie sich.«
Aaron starrte die Kreatur wie gebannt an.
»Ich habe euch gewarnt«, sagte Michael leise.
»Willst du mich wirklich töten?« fragte Lasher, und seine Tränen flössen so unablässig wie bei einem kleinen Kind. »Haßt du mich sosehr? Nur weil ich leben will?«
»Du hast sie umgebracht«, flüsterte Michael; es war ein so kleines, unbedeutendes Geräusch. »Das hast du ihr angetan. Und du hast unser Kind ermordet.«
»Willst du denn nicht auch meine Seite hören, Vater?« fragte die Kreatur.
»Ich will dich töten«, sagte Michael.
»Oh, ich bitte dich. Kannst du so kalt und gefühllos sein? Kann es dir völlig gleichgültig sein, was man mir angetan hat? Kann es dir völlig gleichgültig sein, warum ich hier bin? Glaubst du, ich wollte sie verletzen?«
Michael umklammerte mit einer Hand das Kaminsims und Aarons Hand mit der anderen und kam so schließlich auf die Füße. Schwäche, beinahe Übelkeit, erfüllte ihn in allen seinen Gliedern. Er stand da und atmete langsam ein und aus. Dankbar spürte er, daß der Schmerz aufgehört hatte. Er starrte Lasher an.
Wie schön dieses glatte Gesicht war, wie schön der weiche schwarze Schnurrbart, der kurzgeschnittene Bart. Der Jesus von Dürers Gemälde. Und die endlos tiefen, köstlich blauen Augen, Spiegel einer unergründlichen und scheinbar wundersamen Seele.
»O doch, Michael, du willst es wissen. Du willst alles hören. Und sie werden dir nicht erlauben, mich zu töten, nicht wahr, Gentlemen? Nicht einmal Aaron wird es erlauben. Nicht, solange ich nicht alles gesagt habe, was ich zu sagen habe.«
»Lügen«, zischte Michael.
Das Wesen schluckte, als sei es getroffen von diesen verdammenden Worten; wieder wischte es sich mit dem rechten Handrücken über die Augen. Es benahm sich wie ein Kind auf dem Spielplatz; es preßte die Lippen zusammen und atmete tief ein, als kämpfe es mühsam dagegen an, sich wie Michael zuvor überwältigen zu lassen – vom Schluchzen und von den Tränen.
Hinter ihm im Bett lag Rowan, unbeteiligt, mit starrem Blick ins Leere, ungerührt und unerreichbar wie zuvor.
»Nein, Michael«, sagte Lasher. »Keine Lügen. Das verspreche ich dir. Wir sind zu klug, nicht wahr, um zu glauben, daß die Wahrheit alles entschuldigen kann. Aber Lügen wirst du nicht hören.«
Wiederum im Eßzimmer. Nur war diesmal das Licht, das durch die Fenster hereinfiel, das mattgoldene Licht der Lampen im Garten.
Sie saßen im Dunkeln um den Tisch. Beide Türen waren geschlossen. Lasher saß auf dem Platz des Oberhauptes, am Kopfende des Tisches, eine große weiße Hand ausgebreitet vor sich auf der Holzplatte; wie benommen starrte er sie an.
Dann hob er den Kopf und schaute sich um. Er betrachtete die Wandgemälde, schien sich ein Detail nach dem anderen vorzunehmen und wieder ins Dunkel zu entlassen. Er betrachtete ihre Gesichter. Er betrachtete Michael, der neben ihm saß, zu seiner Rechten.
Der andere Mann, Clement Norgan, hatte sich immer noch nicht von Michaels Ellbogenstoß erholt; von seinem Flug gegen die Wand taten ihm alle
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