Tanz der Hexen
Frau, Emaleth, meine Schwester. »Königin Anne Boleyn war deine Mutter, und wegen Hexerei und weil sie Ungeheuer erschaffen hatte, wurde sie hingerichtet.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich sah nur die arme, verängstigte Frau, die da schrie, man solle mich fortschaffen. »Die Boleyn«, flüsterte ich. Und all die alten Geschichten von den Märtyrern jener Zeit kamen mir in den Sinn – von den Kartäusern und all den Priestern, die der frevelhaften Hochzeit des Königs mit der Boleyn ihr Einverständnis verweigert hatten.
Meine Schwester wurde kühner, als sie sah, daß ich nicht widersprach und überhaupt schwieg.
»Und die Königin von England, die jetzt auf dem Thron sitzt, ist deine Schwester«, fuhr sie fort. »Und solche Angst hat sie vor dem Blute ihrer Mutter, welches Ungeheuer gebiert, daß sie niemals einem Manne erlauben wird, sie anzurühren, und nie geheiratet hat.«
Mein Vater wollte ihr ins Wort fallen, aber sie trieb ihn mit ausgestrecktem Zeigefinger zurück wie mit einer Waffe, die ihn schwächte, dort wo er stand.
»Schweig, alter Mann. Du hast es doch getan. Du hast mit Anne geschlafen, als du wußtest, daß sie den Hexenfinger hat. Du wußtest es – und auch, daß bei ihrer Mißgestalt und deinem Erbe womöglich der Taltos kommen würde!«
»Wer soll beweisen, daß so etwas je geschehen ist?« fragte mein Vater. »Glaubst du denn, irgend jemand aus jenen Tagen ist noch am Leben? Elisabeth, die damals ein kleines Kind war, ist die einzige. Und die kleine Prinzessin war in jener Nacht nicht im Schloß. Wenn sie wüßte, daß sie einen lebenden Bruder hat, der Anspruch auf den Thron von England erheben kann, dann wäre er tot, ob Ungeheuer oder nicht.«
Seine Worte berührten mich wie alles – Musik, Schönheit, Staunen oder Angst. Ich wußte. Ich erinnerte mich. Ich verstand. Ich brauchte nur einen schmerzlichen Augenblick lang auf der alten Geschichte zu verharren. Königin Anne Boleyn unter der Anklage, Seine Majestät behext und im Königlichen Wochenbett ein deformiertes Kind zur Welt gebracht zu haben. Heinrich, erpicht darauf, zu beweisen, daß er es nicht gezeugt hatte, hatte sie des Ehebruchs bezichtigt und fünf Männer – die als liederlich und pervers bekannt gewesen waren – in den Tod geschickt, um Anne den Weg zum Richtblock zu bahnen.
»Doch keiner von ihnen war der Vater des Kindes«, sagte meine Schwester. »Das war unser Vater, und deshalb bin ich eine Hexe, und du bist der Taltos! Und die Hexen im Tal wissen es. Die kleinen Leute wissen es – die trivialen Ungeheuer und Ausgestoßenen, die in die Berge vertrieben wurden. Sie träumen von dem Tag, da ich mit einem Mann ins Bett gehen werde, der den Samen in sich trägt. Und aus meinem Schoß könnte der Taltos entspringen wie aus dem der armen Königin Anne Boleyn!«
Sie kam immer näher an mich heran und schaute mir in die Augen, und ihre Stimme gellte mir schrill in den Ohren; ich wollte sie mir zuhalten, aber sie packte mich bei den Handgelenken.
»Und dann hätten sie ihn wieder, ihren seelenlosen Dämon, ihr Opfer. Es zu quälen, wie nie ein Mann oder eine Frau je gequält wurde! Ah ja, du riechst den Duft, den ich verströme, und ich wittere den deinen. Ich bin eine Hexe, und du bist der Böse. Wir kennen einander. Deshalb habe ich mein Keuschheitsgelübde abgelegt, ebenso fromm wie Elisabeth. Kein Mann wird ein Ungeheuer in mir säen. Aber hier im Tal gibt es noch andere – ob sie Hexen sein wollen oder nicht -, die den Duft des Starken riechen können, die Witterung des Bösen, und es liegt schon im Wind, daß du gekommen bist. Bald werden die kleinen Leute es wissen.«
Ich dachte an die kleinen Gestalten, die ich für einen Augenblick am Burgtor gesehen hatte. Und zugleich schien mir, als habe irgendein Geräusch meine Schwester erschreckt; sie schaute sich um, und ich hörte das leise Echo von Gelächter in der Dunkelheit der Treppe.
Mein Vater trat vor.
»Ashlar, um der Liebe Gottes und seines himmlischen Sohnes willen, höre nicht auf deine Schwester. Daß sie eine Hexe ist, das ist allerdings nur zu wahr. Sie haßt dich, weil du der Taltos bist, weil du wissend geboren bist und sie nicht. Weil sie ein wimmerndes Kind war wie alle andern. Sie ist nur ein Weib – wie deine Mutter -, und sie könnte ein solches Wunder gebären, aber sie wird es vielleicht nie tun. Man weiß es nicht. Die kleinen Leute sind traurig und leicht zu versöhnen; sie sind uralte, ganz gewöhnliche Ungeheuer, die schon immer
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