Tanz der Hexen
Jungen da sind tapferer als ihr. Wie spät ist es? Wir müssen die Prozession beginnen. Schlag zwölf muß die Mette gelesen werden! Protestanten, Katholiken, Heiden – ich kann sie nicht alle retten oder auch nur zusammenführen. Aber ich kann Christus in der Wandlung auf den Altar herabholen. Und Christus wird heute nacht in diesem Tal geboren werden, wie Er es schon immer wurde!«
Ich trat aus der Sakristei hinaus, und vor der Menge erhob ich meine Stimme.
»Macht euch bereit zur Weihnachtsprozession«, rief ich. »Wer will der Joseph sein, und wer die Gesegnete Mutter, und welches Kind haben wir im Dorf, das ich in die Krippe legen kann, bevor ich zum Altare Gottes schreite und die Christmette lese? Laßt die Heilige Familie heute nacht aus Fleisch und Blut sein, laßt sie aus unserem Tale sein. Und ihr alle, die ihr die Gestalt und das Fell der Tiere annehmen möchtet, geht mit in der Prozession zur Krippe und kniet nieder vor dem Christkind wie der Ochs und das Lamm und der Esel. Kommt herbei, meine Gläubigen. Es ist beinahe Zeit.«
Überall sah ich hingerissene Gesichter; ich sah die Gnade Gottes in jedem Blick. Und nur in einem schemenhaften Huschen sah ich ein kleines, buckliges Weib, das unter einer dicken Hülle von rauhem Tuch zu mir herauf spähte. Ich sah ihr blitzendes Auge, das zahnlose Grinsen – und dann war sie wieder weg, und die Menge schloß sich ringsum, als sei sie unter dem Druck der Großen unsichtbar geworden. Ein gewöhnliches Wesen, dachte ich; und wenn es kleine Leute gibt, so sind sie vom Teufel, und das Licht Christi muß kommen und sie austreiben.
Ich schloß die Augen und faltete die Hände so, daß sie eine eigene kleine Kirche bildeten, sehr schmal und hoch, und mit leiser Stimme begann ich das klagend schöne Adventslied zu singen:
O komm, o komm, Emmanuel,
Mach frei dein armes Israel.
In hartem Elend liegt es hier,
In Tränen seufzt es auf zu Dir…
Stimmen fielen ein, der melancholische Klang von Flöten, das Klopfen von Tamburins und sogar sanfter Trommelklang.
Bald kommt dein Heil: Emmanuel;
Frohlock’ und jauchze, Israel.
Hoch oben im Turm begann eine Glocke zu läuten, zu schnell für die Teufelsglocke; es war eher eine Fanfare, die die Gläubigen von Berg und Tal und Seeufer herbeirief.
Hier und da erhob sich der Ruf: »Die Protestanten werden die Glocke hören! Sie werden uns vernichten!« Aber andere, lustvollere Rufe waren stärker: »Ashlar, St. Ashlar, Vater Ashlar! Unser Heiliger ist wieder da!«
»Laßt die Teufelsglocke läuten!« befahl ich. »Vertreibt die Hexen und die Bösen aus dem Tal! Und vertreibt die Protestanten, denn sicher werden auch sie die Teufelsglocke hören!«
Beifallsjubel erhob sich.
Und dann stimmten tausend Stimmen das Adventslied an, und ich zog mich in die Sakristei zurück, um alle meine Gewänder anzulegen: das weihnachtliche Meßgewand und die Kleider in strahlendem Grüngold, denn die gab es in der Stadt, jawohl, so schön gestickt und kostbar, wie ich sie im reichen Florenz nur je gesehen hatte, und bald war ich gekleidet, wie es sich für einen Priester geziemte, in feinstes Linnen und golddurchwirkte Roben. Auch die anderen Priester kleideten sich hastig an. Die Akolythen liefen auseinander, um die gesegneten Kerzen für die Prozession zu verteilen. Von überallher, so erfuhr ich, strömten die Gläubigen herbei, und auch die, die es bis dahin nicht gewagt hatten, brachten Weihnachtsgrün her.
»Vater«, sagte ich in meinem Gebete, »wenn ich heute nacht sterbe, dann empfehle ich meinen Geist in Deine Hände.«
Es war fast Mitternacht, aber noch zu früh, um hinauszugehen, und während ich noch, ins Gebet vertieft, dastand und mich zu wappnen versuchte, blickte ich auf und sah, daß meine Schwester in einem dunkelgrünen Kapuzenmantel in der Sakristeitür stand und mich mit einer schmalen weißen Hand in den Nachbarraum winkte.
Hier lag eine dunkel getäfelte Kammer mit schweren Eichenholzmöbeln; Bücherregale waren in die Wände eingebaut. Ich war hier noch nicht gewesen. Ich sah lateinische Texte, die ich kannte, ich sah die Statue unseres Ordensgründers, des Hl. Franz von Assisi, und mein Herz füllte sich mit Glück.
Meine Seele war ruhig. Ich wollte nicht mit meiner Schwester sprechen. Ich wollte nur beten. Ihre Witterung machte mich unruhig.
Sie führte mich hinein. Ein paar Kerzen brannten an der Wand. Durch die winzigen, rautenförmigen Fensterscheiben sah man nichts außer dem
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