Tanz der Hexen
Sohn Gottes erheben sollst«, sagte mein Vater. »Rufe die Menschen zusammen und bringe die Unzufriedenen zum Schweigen. Denn wir haben sie unter uns – Puritaner, die das Blatt gern wenden möchten, und sogar solche, die behaupten, daß unter uns Hexen sind, die verbrannt werden müssen, wenn wir bestehen wollen. Mach diesem Zank ein Ende. Rufe das ganze Volk im Namen des Hl. Ashlar. Und lies die Mitternachtsmette.«
»Ich verstehe«, sagte ich. »Und du wirst ihnen dann sagen, ich sei der Heilige, der aus dem Fenster herabgekommen ist.«
»Aber der bist du doch!« erklärte er. »Bei der Liebe unseres Herrn, der bist du! Du weißt, daß du es bist. Du bist Ashlar, der wiederkommt. Du bist Ashlar, der wissend geboren wird. Und du weißt, was du bist. Dreiundzwanzig Jahre lang hast du in Heiligkeit in den Armen der Franziskaner gelebt, und du bist ein wahrer Heiliger. Sei nicht so bescheiden, mein Sohn, daß dir am Ende der Mut fehlt. Feige Priester haben wir genug im Tal die zitternd dort unten in der Sakristei kauern, voller Angst, die Puritaner der Stadt könnten sie vom Altar wegzerren und ins Julfeuer werfen.«
Bei diesen Worten mußte ich an jenes längst vergangene Weihnachstfest denken, an meinen Großvater, der den Befehl gegeben hatte, mich zu töten. Das Julscheit. Würden sie es heute Nacht hereinbringen und anzünden, nach der Mitternachtsmette, wenn das Licht Christi in die Welt gekommen wäre?
Unvermittelt wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ein schwerer, schwüler Duft drang mir in die Nase, ein stickiges, unbeschreibliches Parfüm. Der Geruch war so stark, daß ich ganz verwirrt war.
»Du bist St.Ashlar«, erklärte mein Vater noch einmal, als ärgere ihn mein Schweigen.
»Vater, ich weiß es nicht«, sagte ich leise.
»Ah, aber du weißt es doch!« rief eine neue Stimme. Es war eine Frauenstimme, und als ich mich umdrehte, sah ich eine junge Frau in meinem Alter, vielleicht ein bißchen jünger, und sehr hellhäutig, mit seidigen, langen roten Zöpfen auf dem Rücken und in einen dicken, bestickten Mantel gehüllt. Von ihr ging dieser Duft aus und ließ eine subtile Veränderung in meinem Körper vor sich gehen; ein Verlangen erwachte, eine leise Glut.
Ich war gebannt von ihrer Schönheit, ihrem gewellten Haar und ihren Augen, die ganz wie die unseres Vaters waren, tiefliegend und hell. Meine eigenen Augen waren schwarz. Die Augen meiner Mutter. Ich erinnerte mich an die Worte des Holländers: eine reine Frau von deiner eigenen Art. Aber das war sie nicht. Das wußte ich. Sie war ein Mensch. Ich sah, daß sie meinem Vater mehr glich als mir. Wenn ich meinesgleichen sähe, würde ich es wissen, so wie ich bestimmte Dinge immer gewußt habe.
Die Frau kam auf mich zu. Ihr Duft war einladend. Ich hatte keine Ahnung, was ich damit anfangen sollte – mir war, als fühlte ich Hunger, Durst und Leidenschaft zugleich.
»Bruder, du bist kein St.Ashlar!« sagte sie. »Du bist der Taltos! Der Fluch dieses Tales seit den dunklen Zeiten, der Fluch, der sich unvermittelt in unserem Blute erhebt.«
»Schweig, du Luder!« befahl mein Vater. »Ich meine es ernst! Ich werde dich und deine Anhänger mit eigener Hand erschlagen!«
»Aye, wie die guten Protestanten von Rom«, sagte sie und machte sich dabei über ihn lustig; ihre Stimme war klar und klangvoll, und sie reckte das Kinn vor und streckte die Hand aus. »Wie sagt man in Italien, Ashlar? Weißt du’s? ›Wäre unser Vater ein Ketzer, wir wollten das Holz zu einem Scheiterhaufen zusammentragen.‹ Zitiere ich richtig?«
»Ich glaube schon, Schwester«, sagte ich leise. »Aber um Gottes willen, sei klug. Sprich geduldig mit mir.«
»Geduldig! Wurdest du wissend geboren? Oder ist auch das eine Lüge? In den Armen einer Königin, nicht wahr? Und deinetwegen hat sie ihren Kopf verloren.«
»Schweig, Emaleth!« rief mein Vater. »Ich habe keine Angst vor dir!«
»Dann bist du der einzige, Vater. Bruder, sieh mich an und höre, was ich dir sage.«
»Ich weiß nicht, was du da sagst; ich verstehe es nicht. Meine Mutter war eine große Königin, aber ihren Namen habe ich nie gewußt.« Ich stotterte bei diesen Worten, denn ich hatte schon vor langer Zeit erraten, wer sie wohl gewesen war. Es war dumm von mir, so zu tun, als wüßte ich es nicht, und das war dieser Frau klar. Sie war raffiniert, und sie durchschaute meine sanftmütige Franziskaner-Art und den verblüfften Ausdruck der Unschuld in meinem Gesicht.
»Es war die Boleyn«, sagte die
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