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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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Milch, und o h ne die Milch kannst du nicht zu deiner vollen Größe hera n wachsen.«
    Emaleth wartete darauf, aus diesem dunklen Ort hinaufzusteigen, ihre Glieder zu strecken und zu wachsen und zu gehen und zu lächeln und in Vaters Armen zu liegen. Arme Mutter. Mutter hatte Schmerzen. Und Mutter schlief immer mehr.
    Es war einsam und still in dem Zimmer, in dem Mutter schlief. Tiefer und tiefer schlief Mutter. Emaleth hatte Angst, daß Mu t ter nicht mehr aufwachen würde. Sie drehte sich um und streckte die Hände aus, um die Ränder der Welt zu berühren. Sie sah, wie das Licht ringsumher erstarb. Ah, aber das war nur wieder die Dämmerung. Bald würde Emaleth das Licht sehen, wie es wirklich war, ganz deutlich, hatte Vater gesagt. Und es war prachtvoll.
    Die Toten kennen das Licht nicht, hatte Vater gesagt. Die T o ten kennen nur die Verwirrung.
    Emaleth öffnete den Mund und versuchte, Worte zu formen. Sie preßte sich an das Dach der Welt. Sie stieß und wand sich in Mutter. Aber Mutter schlief, müde und hungrig und ganz allein. Vielleicht war es am besten so, wenn sie schlief. Denn dann kannte sie keine Angst. Arme Mutter.

 
6

    Yuri mußte zu Aaron Lightner; so einfach war die Sache. Er mußte die Talamasca auf der Stelle verlassen, ganz gleich, wie seine Befehle lauteten. Er mußte Aaron in New Orleans suchen gehen und herausbekommen, was in den letzten M o naten geschehen war, warum sein geliebter Mentor und Freund so betrübt war. Als der Wagen das Tor des Mutterha u ses hinter sich ließ, wußte Yuri, daß er vielleicht nie wieder in diese Mauern hineinkommen würde. Die Talamasca war u n nachsichtig gegen Leute, die ihre Befehle nicht befolgten.
    Und doch war es so einfach, all das hinter sich zu lassen – wegzufahren in der gedämpften grauen Einsamkeit des kalten Morgens und diesem gesegneten Ort vor den Toren Londons, wo Yuri einen so großen Teil seines Lebens verbracht hatte, Lebewohl zu sagen.
    Yuri hatte seine Entscheidung getroffen. Das heißt, die Ältesten hatten sie für ihn getroffen, als sie ihm befohlen hatten, jeglichen Kontakt mit Aaron einzustellen, als sie ihm mitgeteilt hatten, die Akte über die Mayfair-Hexen sei nun geschlossen.
    Etwas Schlimmes war bei den Mayfair-Hexen passiert, etwas Schlimmes, das Aaron verletzt und entmutigt hatte. Und Yuri würde jetzt zu Aaron fahren. In gewisser Weise war es das Einfachste, was Yuri je getan hatte.
     
    Yuri war ein serbischer Zigeuner, groß, dunkelhäutig, mit sehr dunklen Wimpern und großen, kohlrabenschwarzen Augen. Er war von schlanker, beweglicher Erscheinung, eine ziemlich schmale Gestalt in seiner gewohnten, lässigen Wolljacke, dem weichen Polohemd und der zerknautschten Khakihose.
    Seine Augen standen ein bißchen schräg; sein Gesicht war kantig, und sein sympathischer Mund lächelte oft. In vielen Ländern, von Indien bis Mexiko, hielt man ihn für einen Einheimischen, und selbst in Kambodscha oder Thailand fiel er nicht auf. Das lag an dem Hauch von Asien in seinen Zügen, in se i ner glatten, goldenen Haut und vielleicht auch in seiner stillen Art. Seine Vorgesetzten bei der Talamasca nannten ihn den »Unsichtbaren Mann«.
    Yuri war der beste Ermittler der Talamasca. Schon als Kind hatte er diesem Geheimorden der »Detektive des Übersinnlichen« angehört. Obwohl er selbst nicht über außergewöhnl i che übersinnliche Kräfte verfügte, war seine Zusammenarbeit mit den Exorzisten, Medien, Sehern und Magiern der Tal a masca bei ihren jeweiligen Fällen weltweit ausnahmslos gut. Er war überaus tüchtig im Aufspüren Vermißter, ein unermü d licher, penibler Sammler von Informationen, als Privatdetektiv eine Naturbegabung. Er liebte die Talamasca. Es gab nichts, was er für den Orden nicht getan, kein Risiko, das er nicht eingegangen wäre.
    Selten nur kam es vor, daß er Fragen stellte, wenn er einen Auftrag erhielt. Er versuchte nie, das, was er tat, in seinem ganzen Umfang zu verstehen. Er arbeitete nur für Aaron Lightner oder für David Talbot, die beide einen sehr hohen Rang im Orden inne hatten, und es machte ihm Freude, daß sie sich manchmal um ihn stritten, weil er seine Arbeit so gut machte.
    Mit seiner geschmeidigen, niemals gehetzt klingenden Stimme sprach Yuri ein Dutzend Sprachen fast ohne eine Spur von Akzent. Englisch, Russisch und Italienisch hatte er von seiner Mutter – und ihren Männern – gelernt, ehe er acht Jahre alt gewesen war.
    Noch manches andere kam Yuri aus seiner Zeit mit der Mutter

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