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Tanz der Hexen

Tanz der Hexen

Titel: Tanz der Hexen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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quälender Trauer, als sei sie mit ihrem letzten Atemhauch wirklich und wahrhaftig zum Himmel aufgefahren. Bestimmt war Stella im Himmel. Wie konnte jemand, der so viele Menschen glücklich gemacht ha t te, in die Hölle kommen? Die arme Stella; sie war nie eine ric h tige Hexe gewesen, nur ein Kind. Vielleicht wollten sanfte Seelen wie Stella niemanden heimsuchen; vielleicht fanden sie rasch ins Licht und hatten Besseres zu tun. Stella war E r innerung, ja, aber ein Geist war sie nie.
    Und in einem wahren und tiefen Sinne war das Leben der ura l ten Evelyn in jener Nacht im Jahre 1929 zu Ende gewesen, als Stella erschossen wurde.
    Sie hatte Stella im Wohnzimmer zu Boden fallen sehen, und sie hatte gesehen, wie dieser Mann von der Talamasca, dieser Arthur Langtry, sich auf Lionel Mayfair gestürzt hatte, um ihm den Revolver abzunehmen. Der Mann von der Talamasca war nur wenig später auf See gestorben. Der arme Dummkopf, dachte sie. Und Stella hatte gehofft, mit ihm fliehen zu können, nach Europa zu entkommen und Lasher mit ihrem Kind z u rückzulassen. Oh, Stella, welch ein Gedanke, so etwas zu tun, so töricht und so schrecklich. Die uralte Evelyn hatte versucht, Stella vor diesen Männern aus Europa zu warnen, mit ihren geheimen Büchern und Verzeichnissen; sie hatte versucht, ihr zu erklären, daß sie nicht mit ihnen sprechen dürfe. Carlotta hatte es gewußt, das mußte Evelyn ihr lassen – wenn auch aus den falschen Gründen.
    Und jetzt war wieder einer von diesen Männern unterwegs, und niemand hatte einen Verdacht. Aaron Lightner hieß er; sie redeten von ihm wie von einem Heiligen, denn er hatte Unterlagen über die Sippe, die zurückreichten bis Donnelaith. Was wußte einer von ihnen schon über Donnelaith? Julien hatte andeutungsweise und mit gedämpfter Stimme von schrecklichen Dingen gesprochen, als sie beieinander gelegen waren und im Hintergrund die Musik gespielt hatte. Julien war an diesem Ort in Schottland gewesen. Die andern nicht.
    Auch als er dahingegangen war, hätte die uralte Evelyn sterben mögen, wenn die kleine Laura Lee nicht gewesen wäre. Aber sie wollte ihre Tochter nicht verlassen. Immer gab es ein Baby, das sie festhielt und sie ins Spiel zurückzog. Laura Lee. Jetzt Mona. Und würde sie Monas Kind noch erleben?
    Stella war mit einem Kleidchen für Laura Lee gekommen und um sie in die Schule zu bringen. Plötzlich hatte sie gesagt: »Darling, vergiß diesen Unsinn mit der Schule. Das arme kle i ne Ding. Ich habe die Schule immer gehaßt. Ihr beide kommt mit uns nach Europa. Mit mir und Lionel. Du kannst dein L e ben doch nicht in einem einzigen Winkel der Welt verbringen.«
    Evelyn hätte Rom oder Paris oder London oder sonst einen von diesen wunderbaren Orten, zu denen Stella sie mitnahm, sonst niemals zu Gesicht bekommen, Stella, ihre Geliebte, Stella, die nicht treu war, aber hingebungsvoll, und die sie leh r te, daß das letztere das Entscheidende sei.
    Evelyn hatte ein graues Seidenkleid getragen, als Stella starb, mit Perlenketten, Stellas Perlen, und sie war auf den Rasen hinausgegangen und weinend niedergesunken, als sie Lionel abführten. Das Kleid war vollständig ruiniert gewesen. Überall im Haus war Glas zerbrochen gewesen. Und da lag Stella, ein Häuflein auf dem gebohnerten Boden, und Blitzlichter explodierten ringsumher. Stella lag da, wo sie alle getanzt hatten, und dieser Mann von der Talamasca, der von Grauen gepackt davonrannte. Von Grauen gepackt…
    Julien, hast du das vorausgesehen? Hat das Gedicht sich e r füllt? Evelyn hatte geweint und geweint, und später, als niemand mehr da war, als sie Stellas Leichnam weggeschafft hatten, als alles still war und das Haus in der First Street im Dunkeln lag, da hatte Evelyn sich in die Bibliothek geschlichen und die Bücher herausgezogen und Stellas Geheimversteck in der Bibliothekswand geöffnet.
    Hier hatte Stella all ihre Bilder versteckt, ihre Briefe, all das, was sie vor Carlotta verbergen wollte. »Wir wollen nicht, daß sie von uns weiß, mein Entchen, aber ich will doch verdammt sein, wenn ich unsere Bilder verbrenne.«
    Evelyn hatte die langen Perlenschnüre abgenommen, die Ste l la gehörten, und sie dort in den dunklen Hohlraum gelegt, zu den kleinen Erinnerungsstücken ihrer sanften und glänzenden Romanze.
    »Warum können wir uns nicht mehr lieben, Stella?« hatte sie auf dem Schiff geweint, als sie nach Hause zurückfuhren.
    »Oh, Darling, die wirkliche Welt wird das nie akzeptieren«, hatte Stella

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