Tanz der Kakerlaken
bringen, wenn sie sie auch gebrauchen könnte. Nein, wahrscheinlich hatte das Schicksal-Ding sie dazu bestimmt, einen Carlotter zu heiraten. Wie eitel von ihr, auf die Aufmerksamkeit einer Knackerlake aus dem Heiligen Haus zu hoffen. Klar, Jim Tom Dinsmore wäre glücklich, sie zu bekommen, und würde sie heim zu sich in den Sack führen, wenn sie ihn heiratete, aber er war ein kümmerliches, unansehnliches Exemplar von Sackerlake, verglichen mit Archy Tichborne.
Kannst ebensogut zusehen, daß du nach Hause kommst, sagte Tish zu sich selbst, kroch unter dem Tanzboden hervor und lenkte traurig ihre Schritte heimwärts. Aber als sie den Pfad zu dem hohlen Holzklotz suchte, in dem die Dingletoons zu Hause waren, rannte sie gegen eine der Fingerspitzen des Mannes, der der Länge nach mit ausgestreckten Armen im Gras von Carlott lag. Seine Nähe überwältigte sie, mehr noch als Seine ungeheure Größe. Tish ließ ihre Schnüffelruten über die Spitze Seines Fingernagels gleiten und versuchte, die Fülle der Gerüche von allem, was der Mann in den letzten paar Stunden berührt, gekratzt, gekitzelt oder befummelt hatte, zu identifizieren. So nah wie jetzt war sie dem Mann noch nie gekommen, und sie hatte sich noch nie einem der Dinge genähert, die der Mann berührt, gekratzt, gekitzelt oder befummelt hatte, so daß sie diese seltsamen neuen Gerüche mit ihren Schnüffelruten nicht sogleich erkennen konnte. Sie war von großer Ehrfurcht ergriffen, hatte aber keine Angst. Fürchte den Herrn, deinen Mann, hatte sie wieder und wieder zu hören bekommen, und doch hatte sie keine Angst vor Ihm. Als sie durch das hohe Gras trippelte, in das Sein Gesicht gepreßt lag, und Ihm dann so nahe kam, daß die Spitzen ihrer Schnüffelruten die Enden Seiner Bartstoppeln berühren konnten, trat an die Stelle von Angst und Demut, die sie Ihm gegenüber eigentliche empfinden sollte, plötzlich Mitleid, etwas, das zu fühlen ihr absolut nicht zustand, als wäre sie etwas Besseres als Er oder glücklicher als Er oder zumindest nüchterner als Er, oder als wäre sie durchaus nicht kleiner als Er, sondern genauso groß. Dies wäre beinahe einer blasphemischen Überheblichkeit gleichgekommen, wäre die Sympathie nicht ein reiner Impuls gewesen und ohne jede Eitelkeit.
»Armer Bursche«, sagte sie laut in dem Wissen, daß Er sie nicht hören konnte. »Du bist auch nur ein Geschöpf, genau wie ich. Was dir soviel Sorgen macht, ist gar nicht so verschieden von den ganzen Sorgen, die ich habe. Du kriegst auch Hunger, oder? Und du wirst bestimmt auch traurig, könnt ich wetten. Und vor allem, Mann, fühlst du dich die ganze Zeit einsam.«
Egal, daß, wenn Er aufwachte und Seinen Revolver dabei hätte, Er sie, schneller als sie mit ihren Sternguckern blinzeln konnte, entrückt hätte. In diesem Moment liebte Tish Ihn, und es war nicht die Liebe, von der die Chrustenlaken sprachen, wenn sie sagten: Liebe den Herrn, deinen Mann.
Tish wußte, daß das Schicksal-Ding mächtiger war als Er, daß Er ebensosehr unter der Macht des Schicksal-Dings stand wie sie. Hatte das Schicksal-Ding einen besseren Namen? War sein Name »Sharon«? Hatte Er das Schicksal-Ding angerufen, als Er nach Sharon rief? Wenn Sharon der Name des Schicksal-Dings war, dann sollte Tish ihre Gebete nicht an den Mann, sondern an Sharon richten.
Versuchsweise rief Tish, wie Er es getan hatte: »SHARON!« Noch einmal rief sie, lauter, aber zugleich fragend: »SHAY-RONN?« Aber wenn das der Name des Schicksal-Dings war, dann antwortete Er – oder Sie – genausowenig, wie Es – oder Sie – vorher dem Herrn geantwortet hatte.
Während Tish so in Gedanken versunken heimwärts schritt, fiel ihr ein, daß »Sharon« vielleicht gar nicht der Name des Schicksal-Dings war, sondern vielmehr der Name der Frau, die im Parthenon wohnte. Oder vielleicht war die Frau selbst das Schicksal-Ding. Tish hatte die Frau zum allerersten Mal an diesem Abend gesehen, als der Umzug der Mädchen im Vorgarten des Parthenon kehrtgemacht hatte, jenem sagenumwobenen Haus, das das Privatschloß der Junker Ingledew war. Obwohl Tish Junker Hank oftmals im Dorf gesehen hatte, hatte sie den hübschen Junker Sam noch nie zu Gesicht bekommen, der, wie ihre Freundinnen ihr erzählt hatten, sich nicht unter die Leute zu begeben pflegte. Tishs Freundinnen hatten nächtliche Fantasien, in denen sie ununterbrochen angeschaut und hofiert wurden vom Junker Sam, wie ein Mädchen aus dem Volke von einem Prinzen, vielleicht von
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