Tanz der Kakerlaken
nützen?«
»Aber natürlich, Kindchen«, erklärte Josie. »Wir können alle miteinander in den Parthenon ziehen!« Sie machte eine Pause, damit diese Worte von jedem lauschenden Paar Schwanzreifen in aller Länge ausgekostet werden konnten. Die älteren Geschwister flüsterten einander aufgeregt das Zauberwort Parthenon zu, und die mittleren Geschwister fingen an, den kleinsten zu erklären, was und wo der Parthenon war.
Tish konnte nicht an diese märchenhaften Aussichten glauben, und sie fing an, ihre Schnüffelruten umherzuschwenken auf der Suche nach ihrem Vater, damit er die Erzählung bestätige. »Wo steckt eigentlich Daddy?« fragte sie ihre Mutter.
Josie machte ein betretenes Gesicht. »Nun werde mir jetzt nicht gleich wütend auf deinen armen alten Papi, Tishia, aber er war so aufgeregt über die Neuigkeit, daß er sehen will, ob sie ihn nicht in die Kochstatt im Heiligen Haus lassen.«
»Was!« rief Tish aus. »Pah, er ist ja völlig übergeschnappt! Wie konntest du ihn so etwas nur tun lassen?«
Josie ließ den Kopf hängen. »Na ja, er hat sich immer so nach einem bißchen echten Bier gesehnt, und wer bin ich, ihm das zu verwehren? Aber ich schätze, ich geh ihn besser holen, bevor der Dummerjan sich noch vom Herrn totschießen läßt.«
»Der Herr wird heute nacht niemanden mehr entrücken«, sagte Tish. »Er ist mitten in Carlott bewußtlos umgekippt. Ich habe Ihn berührt.«
»Du hast wie bitte?« fragte Josie entgeistert.
»Nicht mit meinen Fühlern, nur mit den Schnüffelruten. Ich hab Ihn angefaßt, wie Er so dalag, bloß um zu sehen, ob Er sich echt anfühlt«, erklärte Tish mit nicht geringem Stolz.
Im ganzen Raum wurde es still. Keins von den mittleren Geschwistern, von den jüngeren ganz zu schweigen, hatte Ihn jemals zu Gesicht bekommen, obwohl sie jeden Morgen vor dem Schlafengehen ihre Gebete zu Ihm sprachen. Doch zu denken, daß ihre eigene große Schwester Tish Ihn nicht nur gesehen, sondern sogar wirklich und wahrhaftig tatsächlich berührt hatte! Alle drängten sich um sie und versuchten, sie zu berühren, als könnte etwas von dem Zauber auf sie übergehen. Dann fingen alle gleichzeitig an aufgeregt zu plappern.
»Pst! Nun mal ruhig, Kinder!« sagte Josie streng und wandte sich Tish zu. »Tochter, ich weiß nicht, was ich von dir denken soll! Hab' ich dir denn kein bißchen Vernunft beigebracht! Weißt du denn nicht, daß du nie, aber auch niemals den Herrn berühren darfst?«
»Aber Er liegt völlig besinnungslos da, westmäßig betrunken, genau wie Daddy manchmal«, versuchte Tish zu erklären.
Josie ohrfeigte sie. Mit beiden Schnüffelruten schlug die Mutter Tish ins Gesicht, bis der die Tränen kamen. »Jetzt halt aber deinen sündigen Mund!« rief sie aus. »Das ist Blasphemie! Der Herr schläft wahrscheinlich nur, so spät in der Nacht, und du hast womöglich Seine Ruhe gestört!«
»Aber Er ist betrunken wie 'ne gekochte Eule!« heulte Tish, und sie sagte die Wahrheit, obwohl, genaugenommen, keine der Eulen, die sie gesehen hatte und von denen es mehrere in den Wäldern von Stay More gab, je gekocht oder betrunken gewesen war.
Josie schnappte nach Luft, ließ etwas vernehmen wie hmhmhm und schlug mit den Schnüffelruten das Zeichen der Stecknadel. »Am besten geh ich selbst mal nachsehn«, sagte sie zu sich selbst, und dann laut zu ihrer ältesten Tochter: »Ich geh wohl besser mal nach deinem Vater sehen.« Mit einer gründlichen Reinigung bereitete sie sich auf das Ausgehen vor.
»Mama, du willst doch nicht etwa auch in der Kochstatt vorbeischauen, oder?« fragte Tish.
»Wenn es sein muß«, sagte Josie, fast außer sich vor Nervosität; wenn sie auch nicht den Herrn berühren konnte, so würde sie doch vielleicht ihren Mann in der Kochstatt finden, wo sie noch nie gewesen war, und dort womöglich etwas von den sagenhaften Eßvorräten zu kosten bekommen. Und vielleicht würde ihr sogar der Zutritt in eine der Bierdosen gestattet werden. »Jetzt hör mir gut zu, Tish«, wies sie ihre Tochter an, »wenn ich vor Tagesanbruch nicht zurück bin, dann paß auf, daß keiner von den Kleinsten den Morgenstern sieht, und sieh zu, daß sie alle ihre Gebete sprechen, und halte Jubal vom Schlafloch seiner Schwestern fern und laß keinen von ihnen ins Speiseloch, wo Papa die Morcheln aufbewahrt, und sorg dafür, daß keiner von ihnen die Sonne aufgehen sieht. Kannst du das alles behalten?« Tish nickte, obwohl es eine lange Liste von Maßregeln war und noch eine weitere
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