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Tanz der Kakerlaken

Tanz der Kakerlaken

Titel: Tanz der Kakerlaken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Harrington
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Sessel, saß die Frau. Tish hatte viele Legenden, Berichte, Geschichten, Beschreibungen und Gerüchte über die Frau gehört, hatte Sie aber nie zuvor aus solcher Nähe gesehen, in Lebensgröße, in Lebensübergröße, fast so groß wie der Mann selbst. Aber der Mann war, als Tish ihn letzte Nacht gesehen und sogar berührt hatte, in tiefem Schlaf gewesen, wenn nicht gar betrunkener als ein Dudelsackpfeifer. Die Frau hier war hellwach, und Ihre Augen waren offen. Sie las. In den Händen hielt Sie ein paar Blätter aus weißem Papier, und eins von diesen las Sie gerade. Ihr Haar war so gelb wie die Flügel eines Kometenfalters, und Ihr sanfter Mund war zu einem Lächeln verzogen. Sie hatte einen sehr gütigen und sanften Gesichtsausdruck. Tish wäre gerne in Ihren Schoß gekrochen und hätte mit Ihr geredet, war aber alt genug, um zu wissen, daß die Frau die Berührung einer Knackerlake ebensowenig dulden würde wie der Mann.
    Hoch oben an einer Wand des Raumes, über einem mit Brettern vernagelten Kamin, befand sich ein Kaminsims, und darauf stand eine Uhr, die Uhr, von der Tish so viel gehört und deren Läuten ihr Leben begleitet hatte. Aber im fernen Carlott hatte sich dieses Läuten wie ein leises Bimmeln angehört. Jetzt, während Tish wartete und beobachtete, fing die Uhr an, die Stunde zu schlagen, und sie sagte so laut »BRÖTCHEN!«, daß Tish vor Schreck beinahe vom Fenstersims gefallen wäre. Dann sagte die Uhr »TORTE!« Ein drittes Mal schlug sie: »PUDDING!« Tish zählte einen vierten Schlag: »KARAMEL!« und einen fünften: »SCHOKO!« Die Uhr ließ sechs erklingen: »ROSINENBRÖTCHEN!«, und die Uhr schlug sieben: »BONBON!« Tish überlegte noch, ob die Uhr all das wirklich von sich gegeben hatte, als sie »EI!« hörte. Für neun Uhr sagte sie: »NOUGAT!« Dann schlug sie zehn: »GÖTTERSPEISE!« mit einem Dröhnen, das das Fenstersims, auf dem, Tish saß, zu erschüttern schien. Das letzte, was die Uhr sagte, war »ECLAIR!« Tish wartete auf ein zwölftes Läuten, aber es blieb aus.
    Die Frau gähnte und reckte die langen Arme über den Kopf. Wieder lächelte Sie. Dann gähnte Sie erneut. Darauf faltete Sie die Blätter zusammen und schob sie in einen Umschlag, den Sie in ein Buch legte, und schloß das Buch. Sie stand aus ihrem Sessel auf, blies Ihre Kerosinlaterne aus, die Welt wieder ihrer normalen Helligkeit und Färbung überlassend, und dann legte Sie sich in Ihr Bett.
     
    12.
    Als Gregor Samsa Ingledew mit der ganzen Länge seiner Schnüffelruten den Geruch von niemand anderem als seinem eigenen Vater ausmachte, war er so erschrocken, daß er sich instinktiv zum Kampf rüstete, etwas, was er erst ein einziges Mal in seinem Leben in der Uhr hatte tun müssen, als nämlich ein Skorpion einzudringen versucht hatte. Der Skorpion, ein Todfeind aller Knackerlaken, ist ein Vertreter der Arachniden wie die Spinne, aber ein übergroßer, mit Scheren wie ein Krebs und einem Schwanz wie ein Kran, an dessen Spitze ein tödlicher Stachel sitzt. Wie die Knackerlake geht er nachts auf Beute aus, doch die Knackerlake späht nach Abfällen, der Skorpion hingegen nach Knackerlaken. Einer der Lieblingssprüche unter Knackerlaken, die einander verspotten oder beschimpfen, lautet: »Der Skorpion soll dich holen!« Sam hatte seine Uhr für eine sichere Zuflucht vor Skorpionen und allen anderen Geschöpfen gehalten, aber eines Abends hatte die Frau nach dem Aufziehen der Uhr die Glastür vor dem Zifferblatt angelehnt gelassen, und der Skorpion war hereingekrochen. Sam hatte oft Alpträume gehabt, in denen er von einem Skorpion angegriffen würde, und im ersten Moment hatte er geglaubt zu schlafen, als er ihn, dreimal so groß wie er selbst, auf sich zukommen sah. Er hatte gehofft aufzuwachen, dann aber festgestellt, daß er bereits hellwach war. Wenn er wirklich geschlafen hätte, wäre es sein letzter Schlaf gewesen. Im wachen Zustand aber war es ihm gelungen, ungeahnte Reserven der alten Kraft, List und Kriegskunst der Ingledews zu mobilisieren. Der Skorpion war kaum ein wirklicher Gegner für ihn gewesen. Bevor er wußte, was er tat, hatte Sam sich dem Skorpion entgegengestellt, ihn angegriffen, niedergerungen und verstümmelt. Beherzt dem vorschnellenden Giftstachel ausweichend, hatte er dem Skorpion eine seiner Scheren abgebissen, während er gleichzeitig die andere packte, verdrehte und den Skorpion auf den Rücken schleuderte, so daß sein Stachel außer Gefecht gesetzt war. Dann hatte er ihm kräftig in

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