Tanz der Kakerlaken
Patient.
Chid hielt nicht einmal inne, um den Herrn genauer anzusehen oder Ihm mehr als einen Blick zuzuwerfen, gerade lange genug, um zu sehen, daß Er, mit abgespreizten Armen und offenem Mund, der Länge nach bewußtlos auf Seiner Couch lag, die Finger Seiner Hand um den Hals einer leeren Bourbonflasche geklammert, die auf den Boden gefallen war. Zum erstenmal in seinem Leben empfand Chid so etwas wie Verachtung für den Herrn, diesen trunkenen Idioten.
»Nun, Bruder Duckworth«, sagte Chid, als er wieder in der Kochstatt war, »ich glaube, du hast recht. Der Herr liegt ohnmächtig da, und es ist kaum zu sagen, ob Er am Ende nicht völlig dahinwestert.«
»Ach nee!« rief Tolbert Duckworth aus. »Keine Chance, daß Er so was täte. Der Herr völlig dahinwestern?!? Pah, die ganze Welt würde verwestern, bevor der Herr es täte! Nee, nee, Hochwürden, Er schläft sich nur mal wieder aus, wie üblich.«
Die anderen Burschen in der Kochstatt, hauptsächlich gute Chrustenlaken, nickten beifällig, wenn auch nicht ganz überzeugt und etwas zögerlich, als warteten sie ab, ob der Prediger sie nicht zu einer anderen Ansicht überreden würde.
»Brüder«, sagte Chid feierlich, »unser Herr ist allgewaltig. Er ist mächtig, Er ist unser Fels und unser Schild, der Herr ist unsere Festung und unsere Kraft, ja, der Mann steht treu und fest, und erzittern auch die Berge und brüllen auch die Wasser …« Die Worte des Priesters wurden von einem neuerlichen Regenguß, der draußen niederprasselte, unterstrichen. »Unser Mann ist unsere Zuflucht und unsere Arche. Er ist es, der uns erlöst und uns ernährt und erhält, gelobt sei Sein Heiliger Name!«
»Lobet IHN!« brüllten die Brüder, und »Amen!« und »Der Herr sei gelobt!« und »Gesegnet sei der Name des Herrn!«
»Aber«, unterbrach Chid ihre Hosiannas, »obwohl Er jetzt und immerdar für uns sorgt, könnte es nicht sein, daß Er nun, wo Er sich Seinen rechten Krabbler fast abgeschossen hat, einfach nicht aufstehen und sich was zu essen holen kann, ganz zu schweigen davon, uns zu ernähren?« Chid ließ sein Fragezeichen in der Luft schweben und flattern, um Unsicherheit auf die Gesichter zu zaubern. Mit einem Schlag machte Chid den unsterblichen Mann zu einem Sterblichen, und es gab kein Zurück. »Der Mann ist ein schlimmerer Trunkenbold als irgendeiner von uns!« stellte Chid wahrheitsgemäß fest. »Ha, allein während der letzten vierundzwanzig Stunden, seit Er sich in Seinen Krabbler geschossen hat, hat Er bereits genug Whisky getrunken, um jede einzelne Knackerlake in Stay More in den Westen zu schicken! Wer weiß, wann Er aufwachen wird! Wer kann sagen, daß Er aufwachen wird! Könnte sein, daß Er nie mehr aufwacht! Was sollen wir dann tun? Häh? Wo kommen wir dann hin? Häh? Ich frage euch, Brüder, was soll aus uns werden ohne diesen Mann?!?«
Die Knackerlaken blickten schweigend erst ihn und dann einander an, mit Gesichtern, in denen sich Unruhe und Furcht und vielleicht nicht wenig Verwunderung und Bestürzung über Chids Abtrünnigkeit spiegelte. Einer der Jüngeren, Jim Bob Murrison, wandte schüchtern ein: »Aber wir werden alle auf Seiner rechten Hand leben, wenn wir verwestern …«
»Was wird uns Seine rechte Hand nützen, wenn sie verwestert ist?« fragte Chid. Niemand antwortete auf diese rhetorische Frage, und er fuhr fort: »Leute, ich sage euch, wir machen uns besser darauf gefaßt, in den Parthenon zu ziehen!«
Ein Raunen ging durch die Menge: »Parthenon!«
»Jede Menge Platz da, und Essen haufenweise!« rief einer von ihnen.
»Genau!« sagte Chid. »Worauf warten wir also noch?«
»Wir warten darauf, daß der Regen aufhört, Hochwürden«, sagte Tolbert Duckworth. »Keine Chance, daß wir es bei diesem Regen bis zum Parthenon schaffen.«
Chid seufzte. »Allerdings, Tol. Aber ich wäre euch dankbar, wenn ihr die anderen Ältesten und Diakone zusammenrufen würdet, damit wir möglichst bald, heute nacht noch, eine außerordentliche Versammlung abhalten können.«
Die Versammlung der nahrungssuchenden Knackerlaken löste sich auf, und alle kehrten in ihr Zuhause in den anderen Zimmern des Heiligen Hauses zurück in den Frack oder in den Sack. Als sie mit leeren Fühlern, ohne jeden Krumen zurückkehrten, waren ihre Eheweiber und Kinder tief enttäuscht. Die Burschen erzählten ihren Frauen von Bruder Tichbornes schockierender Abkehr vom Glauben, aber als die Frauen von seinem Plan, in den Parthenon zu ziehen, hörten, begriffen
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