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Tanz der Kakerlaken

Tanz der Kakerlaken

Titel: Tanz der Kakerlaken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donald Harrington
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jedenfalls. Es war nicht genau das sardonische Grinsen, das der Mann natürlicherweise hatte; es hatte mehr von einem gezwungenen, künstlichen, verbindlichen Lächeln an sich; die Ränder der ersten Mahlzähne waren sichtbar, alle Backenzähne, Eckzähne und Schneidezähne waren ganz zu sehen, und keiner fehlte. Doc seufzte.
    Danach konnte Doc, da er nun schon einmal die Wand hinaufgeklettert war, um die Bilder näher zu betrachten, der Versuchung nicht widerstehen, weiter die Wand entlang zu den Bücherregalen zu klettern und die Bibliothek des Mannes zu begutachten, die, soweit Doc es bei seinen geringen Literaturkenntnissen beurteilen konnte, fast ausschließlich der Lyrik gewidmet war: vollständige Sammlungen der vollständigen Werke vollständiger Dichter, unvollständige Sammlungen der unvollständigen Werke unvollständiger Dichter; Dichter aller Jahrhunderte, bedeutende und unbedeutende Dichter, Biographien von Dichtern und kritische Studien und Interpretationen über und von Dichtern. Sogar die wenigen Prosaautoren waren solche, die lyrisch schrieben. Auf einer Art Ehrenplatz in der Nähe vom Schreibtisch des Mannes befanden sich zwei- oder dreifach die Ausgaben von vier Titeln: Einladung zum Verriß: Leben und Werk des Christopher Smart von Lawrence Brace; Doch wer ich bin, wen schert's: Leben und Werk des John Clare von Lawrence Brace; Herz ohne Geschichte: Eine Art Leben und Werk des Richard Jefferies von Lawrence Brace; und Wessen Lied ist das Leben?: Das falsche Leben und richtige Werk des John Gould Fletcher von Lawrence Brace. Vom letzten Titel waren sechs Exemplare vorhanden, und Doc schloß daraus, daß mehr wohl nicht gedruckt worden waren.
    Auf dem Schreibtisch selbst herrschte ein heilloses Durcheinander, um die Schreibmaschine herum, das schwarze Geschöpf mit fünfzig Augen, die, wie Doc bei näherer Untersuchung feststellte, gar keine Augen waren, sondern eher kleine Beulen, auf denen die Buchstaben des Alphabets, Ziffern und komische Dingsdas standen. Ein seltsam stetes Schnurren kam von der Maschine. Doc bemerkte, daß eine der länglichen Beulen an ihren Enden zwei jeweils widersprüchliche Botschaften trug: »On« an dem niedergedrückten oberen Ende und an dem erhöhten unteren Ende »Off«. Neben der Schreibmaschine lagen haufenweise weiße Karteikarten, kleine Papierzettel, einige unbeschrieben, andere mit einer unleserlichen Handschrift vollgekritzelt, und ein Stapel Bücher: The American Heritage Dictionary of the English Language, Roget's International Thesaurus und Clement Woods Complete Rhyming Dictionary.
    In die Walze der Schreibmaschine war ein Blatt Papier eingespannt, in dessen oberer Ecke »Stay More, Arkansas« geschrieben war; darunter stand »Lawrence Brace« und in der Mitte der Seite »Mythos, Meinung und Erzählung in den Gedichten von Daniel Lyam Montross« und dann der Anfang eines Satzes: »Wie ist es zu verstehen, daß –«. Der Rest des Satzes fehlte … oder zumindest konnte Doc, der den Halt auf dem Papier verlor und von der Walze hinunter in die Innereien der Schreibmaschine rutschte, sich später nicht entsinnen, mehr als das gelesen zu haben. Er kletterte aus der Maschine heraus und kehrte in den Mußeraum zurück, wo Lawrence Brace sich auf der Couch nicht bewegt und nicht geregt hatte und eindeutig den Ansatz eines sardonischen Lachens zur Schau trug, das zwei obere Backenzähne sehen ließ. Bedauerlicherweise fehlte keiner der Zähne, aber zwischen ihnen war ein winziger Spalt, und Doc konnte sich dicht an diesen Spalt drängen und rufen: »AHOI, JUNKER HANK, SIND SIE IRGENDWO DA DRIN?« Schnell hielt Doc seinen Schwanzreifen an den Spalt und hörte seine Worte in dem Gewölbe der Mundhöhle schauerlich widerhallen.
    Dann war eine Stimme zu hören, gedämpft, wäßrig, irritiert, aber ruhig: »Ist draußen bei euch schon Tag? Kann ich schon schlafen gehen?«
    »Nee, Junker, 's ist noch Nacht, aber es geht auf die Dämmerung zu«, rief der Doc im Plauderton zurück. »Geht' s Ihnen gut?«
    »Nu, es ist reichlich feucht und alles«, räumte Junker Hank ein. »Zu naß zum Pflügen, würde ich sagen.«
    Doc lachte. »Haben Sie die Weiße Maus gesehen?« rief er.
    »Es gibt hier was richtig Pelziges«, erwiderte Junker Hank, »aber ich glaube, das ist Seine Zunge.«
    Doc lachte wieder, fragte aber nicht ohne Sorge: »Wie sieht Ihre Außenhaut aus? Irgendein Jucken oder Reizungen? Irgendwas, was sich so anfühlt, als könnte es ins Rutschen

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