Tanz der Kakerlaken
tun?« Doc schüttelte traurig den Kopf. »Könnten Sie nicht losgehen und anderen erzählen, wie die Lage ist, und vielleicht Hilfe holen, damit wir versuchen, Ihn aufzuwecken?« Doc nickte langsam mit dem Kopf. »Wo ist mein Vater?« fragte Sam. »Finden Sie meinen Vater und bringen Sie ihn dazu, daß er auch hilft.« Doc nickte, dann legte er seine Schnüffelruten fest auf Sams Schnüffelruten, bedeutete ihm, jetzt zu ruhen und still zu sein, und machte sich auf.
Erst als Doc schon fort war, fiel Sam eine endlose Reihe weiterer Dinge ein, nach denen er hatte fragen wollen. Wußte sonst noch jemand, daß Sam hier oben zur Genesung lag? Wo war Tish? Was war nach dem Vorfall aus ihr geworden? Sie war mit Archy Tichborne zusammengewesen; war sie mit ihm geflohen? Was war aus Tichbornes Vater Chid geworden, der das Unheil heraufbeschworen hatte? Vielleicht war »heraufbeschworen« das falsche Wort; und doch hatte Sam, der des Predigers pathetische Kampfrede nur hatte sehen und nicht hören können, den Eindruck gehabt, daß Chid es auf die Schießerei angelegt hatte.
Sam fing an, sich selbst leid zu tun, nicht so sehr, weil er zu schwach und unfähig war, um herauszufinden, was in der Welt vor sich ging, sondern weil er taub war und es ihm nicht anstand, irgend etwas herausfinden oder gar beeinflussen zu wollen. Er sollte Beobachter bleiben und nicht zum Akteur werden. Aber hätte er nicht gehandelt, wäre vielleicht sein Vater oder Tish in diesem Augenblick im Westen. Woher hatte er gewußt, daß die dritte Kugel auf einen von ihnen beiden gerichtet war? Woher hatte er den rechten Augenblick gewußt, in dem er den Mann beim Visieren stören mußte? Vielleicht, so sagte er sich, gab es wirklich ein Schicksal-Ding, und er hatte als Mittler des Schicksal-Dings gehandelt.
Wenn es so war, dann war es nicht sein Vater, sondern Tish, die vom Schicksal-Ding beschützt wurde. Das Schicksal-Ding hatte große Pläne mit ihr. Zumindest war sie dazu ausersehen, die Mutter der nächsten Generation von Ingledews zu werden, einer Generation von Ingledews vielleicht, die Stay More in der Zeit nach Der Bombe führen und den Weg in ein neues Goldenes Zeitalter ebnen würde. Vielleicht hatte seine Aufgabe, sein ganzer Daseinszweck einfach darin bestanden, diese Murmel in sie einzubetten. Vielleicht waren all die zahllosen Mahlzeiten, die er gefunden und gegessen hatte, eine bloße Zehrung gewesen, um ihn für diese Aufgabe der Fortpflanzung am Leben zu erhalten.
Jetzt, so wurde ihm bewußt, bestand der Sinn seines Lebens darin, Tish vor den Kugeln des Mannes und allen anderen Gefahren, die auf sie lauern mochten, zu beschützen. Er war der Leutnant und Adjutant des Schicksal-Dings. Aber wo war Tish? Warum hatte sie ihn und seine Uhr ohne jedes weitere Wort (oder Zeichen) an ihn verlassen? Vielleicht war ihre geschlechtliche Verbindung, so wundervoll sie auch gewesen war, zu rasch, zu plötzlich gekommen. Die Stunden, in denen sie sich in Zeichensprache »unterhalten« hatten, hatten sie so vertraut miteinander gemacht, aber trotzdem, war es nicht verkehrt, gleich beim ersten Treffen zu bumsen?
Während der endlosen Stunden, da Sam unbeweglich, genesend und hilflos daliegen mußte, kehrten seine Gedanken wieder und wieder zu all diesen Dingen zurück. In seinem Geist spielten sich von neuem die Stunden jenes einen Liebesaktes ab, als ihre Körper Ende an Ende vereinigt waren und sich das abwechselnd langsame und schnelle Aneinanderreihen an allen Berührungspunkten, in den verschiedensten Tempi, mit wechselnder Stimmführung und Synkope, langsam zu einer schier unerträglichen Spannung aufbaute … Bei diesen Gedanken wurde Sam eine wichtige Tatsache über Larry und Sharon klar. Larry hatte Sharon an irgendeinem fernen Ort gekannt, hatte eine oder mehrere geschlechtliche Vereinigungen mit Ihr erlebt, und als Sie nach Stay More, an den Ort Ihrer Jugend, zurückkehrte, war Er Ihr gefolgt, weil Er Sie liebte und noch einmal den Liebesakt mit Ihr erleben wollte, oder, wenn Ihm dies verwehrt blieb, einfach auf Sie aufpassen, Sie beschützen mußte. Larry, so wurde Sam klar, war der Leutnant und Adjutant von Sharons Schicksal-Ding.
Aber nun, da Er verletzt war, müßte Sie ihm helfen. Von wem rede ich da? fragte sich Sam. Er redete von ihnen allen vieren: Larry und Sam und Sharon und Tish, allen miteinander. Er wußte, daß Sharon Larry helfen mußte. Und er wußte, daß er mit Sicherheit ein bißchen Hilfe von Tish gebrauchen konnte, und
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