Tanz der Kakerlaken
Wirklich? Nun, man kann nie wissen. Wenn ich's nicht tue, tut er's. Genau. Wie ich's dir sage. Könnte sein. Jederzeit. Okay. Bye-bye. Schlaf gut.«
Junker John saß einen langen Moment da und rätselte, was diese Worte bedeuten mochten. Ratlos kehrte er in die Kochstatt zurück, wo Josie sich noch immer mit einem Brocken Erdbeerkuchen, der beim Dessert des Abendessens der Frau abgefallen war, verlustierte, und wiederholte Wort für Wort, was die Frau gesagt hatte. Dann fragte er: »Wie erklärst du dir das?«
»Wart einen Augenblick, damit ich nichts falsch verstehe«, sagte Josie. »Was hat Sie direkt nach ›Aber letzte Nacht nicht‹ gesagt?«
»Sie sagte: ›Wenn wir noch einen Tropfen mehr kriegen, raste ich aus.‹«
»Hab ich's also richtig verstanden«, sagte Josie und wandte sich wieder ihrem Erdbeerkuchen zu.
Junker John wartete. Schließlich sagte er: »Nun? Was denkst du?«
»Ich denke, dieser Erdbeerkuchen ist das Beste, was ich je gegessen habe«, erklärte Josie.
»Ich meine«, sagte Junker John, »wie erklärst du dir Ihre Worte? Du bist ein Weibsbild wie Sie. Was hat dieser ganze Weibertratsch zu bedeuten?«
»Nun«, sagte Josie endlich, indem sie den letzten Krümel gegessen hatte und sich die Lippen leckte, »es ist so klar wie eine Sommernacht, daß Sie mit Ihrer Großmutter gesprochen hat. Wie hat die andere Dame ausgesehen?«
Junker John versuchte ihr zu erklären, daß das Dingsbums nur Worte, keine Bilder von sich gab. Josie war skeptisch, aber sie erklärte Junker John: »Die Omi-Frau fragte Sie, wie es Ihr ginge, und Sie sagte, es ginge Ihr bestens. Dann sagt die Oma: ›Du bist doch noch nicht im Bett, oder?‹, und die Frau sagt: ›Nein, noch nicht.‹ Die Oma sagt: ›In den Zehn-Uhr-Nachrichten haben sie gesagt, daß Sheriff Tate bei der Stichwahl durchgefallen ist‹, und die Frau sagt: ›Ja, ich weiß.‹ Und Oma sagt: ›Hast du für ihn gestimmt?‹, und die Frau sagt: ›Äh-hum.‹ Dann fragt Oma …«
Junker John stand der Mund weit offen; er hörte verblüfft zu, wie sein Eheweib mit einer weiblichen Intuition, die über seinen Verstand ging, ihm Wort für Wort die Unterhaltung zwischen der Frau namens Sharon und der Großmutter namens Latha wiedergab. Die zusätzlich zu den bereits erwähnten Landkreiswahlen behandelten Themen waren: die Verwendung von Rotenon als Spritzmittel für Gemüsepflanzen, das Gedeihen von Sharons Erdbeeren, der bevorstehende Besuch von Sharons Schwester, die aus einem Ort namens Kalifornien herüberkam, die Scheidung der Schwester von ihrem Ehemann, ein früheres Telefongespräch zwischen der Großmutter und der Frau von Sharons Bruder Vernon, die Dauer, Menge und mögliche Zukunft der momentanen Regenfälle und schließlich der aktuelle Stand der Beziehung respektive Entfremdung zwischen Sharon und dem Mann, unserem Herrn, des Heiligen Hauses.
Seine Frau, so entschied Junker John, besaß einiges an Intelligenz, das er ihr nicht zugetraut hätte.
Josie machte eine besorgte Miene. »Es sieht nicht so aus, als hätte eine der Frauen eine Ahnung, daß der Mann sich in Seinen Krabbler geschossen hat.«
Aber in diesem Moment machten Junker Johns Schnüffelruten den Geruch von Knackerlaken aus, und er wirbelte herum in der Erwartung, die beiden Junker Ingledew und Tish zu sehen.
Statt dessen sah er, wie, angeführt von dem Prediger Bruder Chidiock Tichborne, drei Diakone aus dem Heiligen Haus in die Kochstatt kamen, als gehörte sie ihnen.
»Krümchen, Hochwürden«, sagte Junker John und setzte dann hinzu: »Krümchen, Jungs«, und spuckte aus, um sein Revier zu markieren.
»Auch Euch ein gutes Krümchen, Junker John«, sagte der Priester und spuckte seinerseits aus. Jeder seiner Verbündeten spuckte ebenso aus.
27.
Würden diese Regenfluten wohl jemals aufhören? Ihr Leben lang, oder zumindest seit dem ersten kalten Regen, an den sie sich aus ihrer Kindheit letzten November erinnern konnte, hatte Tish den Regen geliebt, seine Macht, alle Gerüche der Welt zu verstärken, seine Fähigkeit, den Durst zu löschen allein durch die Feuchtigkeit, die er in der Luft zurückließ und aus den Schnüffelruten gepreßt werden konnte. Ohne diese Feuchtigkeit wäre sie nicht gewachsen, ebensowenig wie die zig Millionen Pflanzen, die sich beständig von dem Wasser ernährten. Aber genug war genug: Ununterbrochen und fortwährend war der Regen jetzt seit fünf Tagen gefallen, seitdem Tishs Wohnklotz, ihre kleine Arche, auf einer Sandbank namens
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