Tanz der Sinne
ernst. Ich beneide Menschen, die für ihr Vergnügen leben können, weil ich nicht dazu fähig bin.« Und das waren Dinge, die er nie zuvor in sich erkannt hatte, dachte er mit mildem Erstaunen.
Mace wiederholte seine Frage in verschiedenen Formulierungen, aber jetzt, da Lucien sich seine Strategie zurechtgelegt hatte, war er imstande, schneller zu antworten. Schließlich lehnte Mace sich zurück und betrachtete ihn mit halbgeschlossenen Augen. »Meinen Glückwunsch, Strathmore, Sie haben soeben die Prüfung bestanden. Niemand kann in die Gruppe aufgenommen werden, ohne unter Lachgas befragt zu werden. Es scheint Leute ungewöhnlich ehrlich zu machen.«
Dankbar, daß er sich ein wenig entspannen konnte, fragte Lucien: »Gibt es Männer, die nicht bestehen?«
»Normalerweise nicht, aber bei Ihnen war das möglich.
Ich habe mich gefragt, warum Sie sich uns anschließen wollten – komplizierte Männer machen mich mißtrauisch. Aber ich kann verstehen, daß zuviel Nüchternheit einen langweilen kann. Da können wir abhelfen. Für Männer von Vermögen und Familie wie uns ist Zerstreuung eine Pflicht.« Mace nahm einen tiefen Zug aus seiner Gasblase, und seine blutunterlaufenen Augen glühten vor innerem Feuer. »Einfache animalische Lüste sind leicht zu befriedigen, aber die höheren Formen der Ekstase erfordern Talent und Phantasie. Sie werden lernen, Strathmore, keine Angst.«
Mace erhob sich und winkte einem Diener zu, ihnen zwei frische Gasblasen zu bringen. Zu Lucien gewandt sagte er: »Da Sie einer von uns sein werden, kann ich Ihnen etwas Besonderes zeigen.«
Schwindel erfaßte Lucien, als er aufstand. Er umklammerte die Sessellehne. Als er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, folgte er Mace aus dem Zimmer. Er fühlte nichts, als er gegen die scharfe Kante eines Tisches stieß.
Genaugenommen spürte er seinen Körper überhaupt nicht. Sehr eigenartig.
Auf der Treppe drehte er sich um und sah auf den Boden der Halle hinunter. Wenn er die Treppe hinunterfiel und auf den Marmorfliesen aufprallte, würde er auch das nicht spüren.
»Kommen Sie«, sagte Mace ungeduldig. »Sie sind einer der wenigen, die sie zu schätzen wissen werden.«
Lucien folgte ihm eine zweite Treppe hinauf in einen Gang, der in den hinteren Teil des Hauses führte. Dort schloß Mace eine Tür auf, und sie traten in einen Raum, dessen Mitte von einer Werkbank eingenommen wurde. An den Wänden standen Glasvitrinen.
Während Mace eine Lampe anzündete, stellte Lucien unnötigerweise fest: »Sie haben Ihre Sammlung von Automaten hier.« Er spähte in eine Vitrine und sah eine Gruppe von drei Figuren, deren eine dabei zu sein schien, den Kopf einer anderen abzuhacken. »Aus Bayern?«
Mace nickte. »Die Enthauptung Johannes’ des Täufers. Sehr selten. Aber das ist nichts im Vergleich zu denen, die ich selber entwerfe.« Mit einem kleinen Schlüssel, der an seiner Uhrkette hing, öffnete er eine Vitrine, deren Türen nicht durchsichtig waren. Er nahm ein mechanisches Spielzeug heraus und stellte es auf den Tisch.
Nach umständlichem Aufziehen trat er zurück, damit sein Gast den Gegenstand besser bewundern konnte.
Der Automat bestand aus zwei feingearbeiteten Figuren, einer nackten Frau und einem ebenfalls nackten Mann, der zwischen ihren Beinen lag.
Unter metallischem Schnarren begannen sie zu kopulieren.
Lucien starrte auf das nackte, auf- und niederpumpende Hinterteil des Mannes und die Arme der Frau, die in gespielter Ekstase flatterten. Der Anblick erzeugte eine innere Kälte in ihm, die selbst das Lachgas nicht vertreiben konnte. Maces hochgeschätztes »Spielzeug« war eine Karikatur der Leidenschaft, ein Symbol des blinden, mechanischen Geschlechtsverkehrs, den Lucien im wirklichen Leben verabscheute. In seinem derzeitigen enthemmten Zustand wünschte er sich nichts sehnlicher, als das scheußliche Ding vom Tisch zu fegen und in tausend Stücke zu zerschmettern.
Der Impuls war so heftig, daß sein Arm vor Anstrengung zitterte. Mit sorgsam ausdrucksloser Stimme sagte er: »So etwas habe ich noch nie gesehen. Hervorragende Handwerksarbeit. Sie haben eine… ungewöhnliche Phantasie.«
»Wahrscheinlich gibt es keine zweite Sammlung wie diese hier. Ich selbst entwerfe die Automaten und baue die Uhrwerke, und ein Silberschmied fertigt die Figuren an.«
Mace holte noch ein Exemplar heraus. Dieses zeigte eine Frau mit zwei Männern, die sich auf die ausgefallenste Art betätigten. »Ich finde die Arbeit…
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