Tanz des Lebens
herankommen.
Auf der Aussichtsplattform darüber gewahrte Faye eine Horde von Ausflüglern, die voller Begeisterung die Kolonie der gesprenkelten Seelöwen bestaunte, die davon vollkommen unbeeindruckt ihre natürlichen Verhaltensweisen zur Schau trugen. Sie rangelten miteinander, säugten ihre Jungen, paarten sich, fraßen oder lagen einfach nur so da und schaufelten sich mit ihren dicken Flossen gemächlich Sand auf den Rücken.
Während der alte Robert Delany zusammen mit Randy mit dem Anlegemanöver beschäftigt war, kümmerte Faye sich um die Gäste. Fürsorglich führte sie sie zum Sonnendeck auf die zweite Etage, sorgte dafür, dass alle ihre Schwimmwesten anlegten, und beruhigte mit lustigen Grimassen die aufgeregten Kinder. Zoe hatte sich in die Bordkombüse verzogen. Ausgangspunkt der Whale-Watching-Tour war die nördliche Küste von Monterey. Das Publikum auf dieser Walbeobachtung war wie immer bunt gemischt.
Kanadier, Deutsche, Italiener, Franzosen und ein Ehepaar aus der Schweiz, darunter viele kleine Kinder. An Deck wehte ihnen der Wind ins Gesicht und das Boot flog förmlich über das Wasser. Je weiter sie sich von der Küste entfernten, desto erwartungsvoller richteten sich die Blicke auf das Wasser. »A dolphin!« Alle rannten auf die Seite des Schiffes, von der der Ruf kam. Tatsächlich, Delfine schwammen in der Bugwelle. Ein Verband von etwa zwölf Tieren sprang aus dem Wasser und vollführte ihre Kunststücke.
»A bald eagle on the right side!« Die Stimme von Kapitän Robert Delany ertönte über das Mikrophon. In den Wipfeln einer Tanne entdeckte Faye den scheuen Weißkopfseeadler. Zerklüftete wilde Küstenlandschaften zogen am Schiff vorbei, aber noch immer waren keine Wale in Sicht. Langsam schipperten sie an einigen kleineren Inseln entlang. Plötzlich meldet sich der Kapitän wieder über das Mikrophon: »I got good news, folks.«
Gute Neuigkeiten? Das konnte nur eines bedeuten: Wale in Sicht. Tatsächlich erkannte Faye jetzt auch die Blaswolken der Buckelwale, die sich gut gegen die dunkelgrüne Uferbewaldung abhoben. Kurz darauf sahen auch die Touristen die Tiere. Randys Vater stellt den Motor ab und versicherte den Gästen, dass die Tiere gleich direkt auf das Boot zuschwimmen würden.
Er ließ das Hydrophon, ein Unterwassermikrophon, langsam ins Wasser gleiten und kurz darauf durchbrach ein langgezogenes Pfeifen mit einem kurzen Quietscher die atemlose Stille. Alle lachten. Danach ertönte ein melodischer geheimnisvoller Gesang, der seltsam mystisch wirkte und alle auf dem Deck in Ehrfurcht verstummen ließ. Nicht weit vom Whale-Watching-Boot entfernt, fingen zwei Wale auf einmal an zu spielen.
Ausgelassen tauchten sie mit dem Kopf aus dem Wasser und plantschten mit den Seitenflossen auf die Wellen. Das sanfte Prusten ihres Atemausstoßes verströmte einen beruhigenden Klang, der Faye auflächeln ließ und für einen winzigen Augenblick all ihre Sorgen auswischte. Während Zoe über das Aussichtsdeck fegte und laut schrie: »Frische Muffins, Kaffee, Tee, Wasser«, beobachtete Faye die Buckelwale für eine kleine Weile versonnen, genoss den traumhaften Blick über den Pazifik und lauschte dem leisen Rauschen der Wellen, die sich am Vorderbug des Schiffs brachen.
Schon als kleines Mädchen hatte sie sich auf magische Weise vom Meer angezogen gefühlt. Immer wenn sie Streit mit ihrer Mutter hatte, was in den letzten Jahren, die sie in Kalifornien verbracht hatte, ziemlich oft vorkam, war sie zu ihrem Lieblingsstrand unterhalb der Wharf gerannt und hatte sich dort ausgeheult. An manchen Tagen waren so viele frustrierte, gekränkte und zornige Tränen über ihr Gesicht geflossen, dass sie glaubte, das ganze Meer würde nur durch ihren Tränenstrom gespeist.
Das letzte Mal, als sie dort gesessen hatte, war vor einem Jahr gewesen. Als Randy und sie gemeinsam entschieden hatten, Schluss zu machen. Heute wusste sie, dass das die beste Endscheidung gewesen war, um ihre Freundschaft zu retten. Doch damals war sie fest davon überzeugt gewesen, dass man an einem gebrochenen Herzen sterben konnte.
Sie erinnerte sich noch gut an diesen Tag, wie sie tränenblind die wenigen Stufen zum weitläufigen, menschenleeren Strand heruntergestolpert war. An diesem Tag hatte es heftig geregnet. Schluchzend war sie am Wasser zusammengebrochen. Der regenfeuchte Sand war in ihre Augen und in ihre Nase gedrungen, aber sie hatte es nicht gespürt.
Ihre bitterlichen Tränen vermischten sich mit dem salzigen
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