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Tanz im Dunkel

Tanz im Dunkel

Titel: Tanz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
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Frau um jeden Preis gefallen wollte. Sean hatte auch nicht wie ein besitzergreifender Spinner geklungen, der seiner Liebsten am liebsten persönlich die Luft zum Atmen zur Verfügung stellen würde. Und auch nicht wie ein Aristokrat, der es gewohnt war, dass andere Leute alles für ihn erledigten.
    “Also gut”, sagte sie langsam und immer noch staunend. “Dann dusche ich rasch.”
    Ein paar Minuten völlig ungestört unter dem heißen Wasser zu stehen war wunderbar. Rue hatte geraume Zeit keine Zweisamkeit mehr erlebt, und die Tatsache, vom Schicksal plötzlich in eine so enge und intime Beziehung katapultiert zu werden, war ein ziemlicher Schock für sie. Zwar ein durchaus erfreulicher, aber trotzdem ein Schock.
    Mit frisch gewaschenem Haar und rundum sauber fühlte sie sich gleich deutlich besser. Eingedenk Seans Worten, dass er für sie sorgen wollte, zog sie ein Paar seiner Jeans an. Sie krempelte die Hosenbeine hoch und fand auch noch ein ausgeblichenes, kürbisfarbenes T-Shirt, in das sie ebenfalls schlüpfte. Es war kaum zu übersehen, dass sie keinen BH trug, doch sie wusste nicht, wo er war. Rue beschlich der schreckliche Verdacht, dass sich ihr Büstenhalter immer noch im Tanzstudio befand – ein Umstand, der bei den anderen Tänzern zweifellos für große Heiterkeit sorgen würde. Sie ging vom Schlafzimmer in das Wohnzimmer, das gleichzeitig auch als Küche und Arbeitszimmer fungierte, um dort auf Sean zu warten. Der Raum war klein, ebenfalls sehr ordentlich und hatte ein paar schmale Fenster, durch die sie die Füße der Leute sehen konnte, die draußen vorbeigingen. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass Sean im Tiefparterre wohnte.
    Bald darauf war er mit zwei Tüten voller Lebensmittel wieder zurück. “Wie viel davon kannst du essen?”, wollte er wissen. “Ich merke gerade, dass ich alles, was mit Nahrungsaufnahme zu tun hat, total vergessen habe.” Er hatte chinesisches Essen besorgt – und zwar für mindestens vier Personen. Rue liebte chinesisches Essen. Glücklicherweise befanden sich auch Gabeln und Servietten in den Tüten, denn Sean schien derlei Utensilien nicht zu besitzen.
    “Sean”, begann sie. Es war wundervoll, seinen Namen auszusprechen. “Sean, bitte setz dich zu mir, während ich esse, und erzähl mir von deinem Leben.” Sie wusste, wie sein Gesicht aussah, wenn er in ihr kam, doch sie wusste überhaupt nichts über seine Kindheit. Ein, wie sie fand, reichlich unausgewogener Informationsstand.
    “Als ich in Pineville war”, sagte er, “habe ich bei deinen Eltern durchs Fenster geguckt. Ich war einfach neugierig. Im Wohnzimmer saß dein Vater und starrte auf eine riesige Glasvitrine, die eine ganze Wand ausfüllte.”
    “Darin sind alle meine Sachen”, sagte sie leise.
    “Deine Krönchen, deine Pokale, deine Siegerschleifen.”
    “Oh Gott, sie haben das Zeug noch immer? Das ist einfach nur … traurig. Hatte Dad einen Drink in der Hand?”
    Sean nickte.
    “Warum erzählst du mir das ausgerechnet dann, wenn ich gerade etwas über dich erfahren möchte?”
    “Du bist amerikanischer Adel”, antwortete er zur Erklärung.
    Sie lachte laut auf, aber es war kein fröhliches Lachen.
    “Das bist du wirklich”, fuhr er fort. “Und ich weiß, dass du damals gehört hast, wie Sylvia mich als Aristokraten bezeichnet hat. Tja, das ist eine Art Witz von ihr. Meine Herkunft ist sehr viel bescheidener.”
    “Mit ist aufgefallen, wie schnell du das Bett gemacht hast.”
    “Ich kann alles, was dazugehört, um ein menschliches Wesen zu umsorgen”, sagte Sean. Er wirkte gelassen, aber Rue spürte, dass es in seinem Inneren ganz anders aussah. Sie merkte es an der Art, wie er seine Hände an die Tischkante presste. “Ich war den Großteil meines menschlichen Lebens ein Kammerdiener.”

9. KAPITEL
    “Eine Art Butler? Das ist ja interessant!” Ihr Gesicht leuchtete auf.
    Ihre Reaktion schien ihn zu überraschen. “Ja, meine Familie war arm. Mein Vater starb, als ich elf war. Ich konnte sein Geschäft, eine Schmiede, also nicht übernehmen. Meine Mutter war mit allem überfordert. Wir waren vier Geschwister, und sie musste die Schmiede verkaufen und mit uns in ein kleineres Häuschen ziehen. Meine älteste Schwester – sie war damals fünfzehn – musste heiraten, und ich selbst suchte mir so schnell wie möglich Arbeit.”
    “Du Armer”, sagte sie. “Du durftest also nicht mehr in die Schule gehen.”
    Er lächelte kurz. “Für Leute wie uns gab es keine Schule”,

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