Tanz im Mondlicht
Eisenbahntrasse an der Tenth Avenue. Ihr Geschäft florierte durch Mundpropaganda, und sie fertigte kunstvolle Torten für Film- und Theaterpremieren, Feiern anlässlich der Tony- und Grammy-Verleihungen, Buchveröffentlichungen und Eröffnungen von Kunstausstellungen.
Ihr Name war bekannt in Chelsea, TriBeCa – dem »Dreieck unter der Canal Street« mit der angesagten Restaurant- und Künstlerszene – und in der Upper East Side. Ihr Anrufbeantworter war immer voll, selbst jetzt, nachdem sie die Ansage aufgesprochen hatte, sie besuche ihre Mutter und bedaure, all die wundervollen Feiern zu verpassen, und dass man sich bis zu ihrer Rückkehr an Chelsea Bakers wenden möge.
Sylvie fuhr vor den Haupteingang der Schule. Die beiden Mädchen halfen ihrer Mutter aus dem Auto. Ihr Zustand schien heute Abend stabiler zu sein als je zuvor seit Janes Ankunft. Während Sylvie den Wagen parkte, stützte Jane ihre Mutter, als sie das Gebäude betraten.
Die Cafeteria brachte eine Flut von Erinnerungen an die Highschool zurück. Die Wände aus Hohlziegeln, ein Überbleibsel aus der Ära des Kalten Krieges, waren blassgelb gestrichen; der Fußboden bestand aus strapazierfähigem grauen Linoleum, in einer Stärke, wie sie für gewerbliche Zwecke üblich war. Die Theke bog sich unter der Fülle der mitgebrachten Speisen: Aufläufe, Eintopfgerichte, Salate und belegte Brote. Rechteckige Tische waren in drei langen Reihen aufgestellt, ein jeder von zehn Stühlen umgeben. Viele waren bereits bis zum letzten Platz mit Lehr- und Verwaltungspersonal besetzt, die sich angeregt miteinander unterhielten und lachten.
Plötzlich wurde man Janes Mutter ansichtig. Für einen Moment kehrte atemlose Stille ein, dann redeten alle aufgeregt durcheinander – und freuten sich aufrichtig, wie es Jane schien.
»Margaret!«
»Mrs. Porter!«
»Na so was – schaut mal, Margaret ist da!«
»Margaret, wie schön, zu sehen, dass es Ihnen so gut geht!«
Sie sah wirklich aus wie das blühende Leben – groß und elegant wie immer, in einem lavendelfarbenen Seidenkleid mit Spitze am Hals, die grauen Haare zum Knoten geschlungen; sie trug, wie eh und je, die lange Goldkette mit Anhänger, einer winzigen Kristallkugel, die ein Senfkorn enthielt. Freunde und Kollegen umringten sie, begrüßten sie mit einem Kuss auf die Wange und schüttelten ihr die Hand, brannten darauf, Jane kennenzulernen.
»Meine heißgeliebte Tochter aus der Großstadt«, verkündete Margaret stolz.
»Sehr erfreut, Sie kennenzulernen …«
»Wir haben viel von Ihnen gehört.«
Jane nickte lächelnd. Sie fragte sich insgeheim, was ihnen wohl zu Ohren gekommen war. Sie hatte ihre Mutter nie zu diesen Schulveranstaltungen begleitet; seit sie mit zwanzig von Rhode Island fortgegangen war, hatte sie selten zurückgeblickt.
Als sie zum anderen Ende des Raumes hinübersah, entdeckte sie ihren ehemaligen Englischlehrer. Er hatte sich nicht verändert mit seinem zerfurchten Gesicht und den buschigen Augenbrauen, blickte sie noch genauso vorwurfsvoll an wie damals, als sie ihm eröffnet hatte, dass sie ihr Studium aufgeben würde – nach all der Mühe, die er sich gegeben hatte, um sie auf das College vorzubereiten –, weil sie ein Kind erwartete. Jane war inzwischen fünfunddreißig, und obwohl seither sechzehn Jahre vergangen waren, spürte sie, wie eine Welle der Scham sie ergriff.
»Hallo, Mr. Romney.« Sie überließ ihre Mutter einem Kreis von Lehrern und gesellte sich zu ihm.
»Meine hochbegabte Schülerin«, sagte er. »Jane Porter.«
Sie errötete, die Hände tief in den Taschen ihrer Jacke vergraben.
»Wie geht es Ihnen?«
»Gut, danke. Und dir?«
»Prima. Sie sehen noch genauso aus wie früher.«
»Was wohl bedeutet, dass ich schon immer alt ausgesehen habe. Hmm. Nun erzähl mal, was hast du mit deinem Leben angefangen, was für Glanzleistungen hast du vollbracht? Gedichte für ein experimentierfreudiges literarisches Journal geschrieben? Oder ein Bühnenstück verfasst, mit dem du nach den Grenzen menschlicher Gefühlserfahrungen greifst?« Seine Stimme hob und senkte sich in vertrauter Weise, spannungsgeladen und dramatisch, als wäre sein eigentlicher Platz auf einer Bühne statt vor einer Schulklasse.
»Ich habe das College geschmissen«, erinnerte sie ihn, bemüht, nicht allzu reumütig zu klingen.
»Das passiert sogar den kreativsten Menschen. Der akademische Zirkus kann oft seine größten Talente nicht bändigen.«
Lächelnd schlug sie die Augen
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