Tanz, Pueppchen, Tanz
fragt Amanda und hält den Atem an.
»Gehören Sie zur Familie?«
»Ich bin ihre Tochter.«
Die Schwester sieht Ben an. »Und Sie?«
»Ihr Anwalt.«
»Auf der anderen Seite, dann links, das letzte Zimmer auf der rechten Seite.«
Amanda löst sich von Ben und schießt den Flur hinunter.
»Ich bin mir nicht sicher, ob Besuch erlaubt ist«, ruft die Schwester ihnen nach.
Sobald sie um die Ecke biegen, sehen sie den Wachposten vor der Tür. Er hat hellbraune Haut und kurze Haare, ist nicht übermäßig groß, wie Amanda bemerkt, als er aufsteht, wirkt jedoch in seiner schicken blauen Polizeiuniform ziemlich kräftig, während er sie aus dunklen Augen in einem attraktiven Gesicht vorsichtig mustert. Seine Miene spricht die stumme Warnung aus: Kommt näher, wenn ihr euch traut. »Kann ich irgendwas für euch tun, Leute?«, fragt er in einem Tonfall, der andeutet, dass sie tunlichst nicht seine Zeit vergeuden sollten.
»Ich bin Gwen Price’ Anwalt«, erklärt Ben ihm und weist sich aus. »Das ist Amanda Travis, ihre Tochter. Wir würden Mrs. Price gern sehen.«
Amanda gibt dem Beamten ihren Führerschein und schielt zu der geschlossenen Zimmertür ihrer Mutter, während der Polizist das Dokument eingehend betrachtet. In diesem Zimmer liegt ihre Mutter, denkt sie. In einem Bett. Und möglicherweise im Sterben.
Warum?
»Einen Moment, bitte«, sagt der Beamte, entfernt sich ein paar Schritte und spricht leise in ein Handy.
Warum wollte ihre Mutter sich umbringen? Warum wollte sie lieber sterben, als die Wahrheit zu sagen?
Amanda wiegt sich auf ihren Absätzen hin und her. Weil sie meine Mutter ist, deswegen. Wann hat irgendetwas, was sie gemacht hat, je einen Sinn ergeben?
»In Ordnung«, sagt der Polizist und steckt sein Telefon wieder in die Halterung an seinem Gürtel. »Sie dürfen rein. Aber nur ein paar Minuten.«
»Wie geht es ihr?«, fragt Ben.
»Sie wird durchkommen. Aber ich sollte Sie warnen …«
»Wovor?«, fragt Amanda.
»Sie hat zahlreiche Blutergüsse.«
»Blutergüsse? Woher hat sie denn Blutergüsse? Ist sie gestürzt?«
»Soweit ich weiß, hat ihre Zellengenossin nicht besonders freundlich auf den Tablettendiebstahl reagiert. Sie ist ein bisschen rabiat geworden.« Er stößt ein Geräusch aus, das mehr als ein höhnisches Schnauben, aber nicht ganz ein Lachen ist. »Der Aufruhr hat Ihrer Mutter wahrscheinlich das Leben gerettet.«
Amanda versucht sich vorzustellen, wie ihre Mutter sich mit einer anderen Frau prügelt. Vor ihren Augen sieht sie, wie sie zu Boden gerungen und an Kopf und Schultern mit Fäusten traktiert wird, bis ihre zarte Haut von Schwellungen übersät ist. Bei diesem Bild werden ihre Knie weich, und sie sackt zusammen. Ben fängt sie gerade noch rechtzeitig auf. »Es wird einfach immer besser«, sagt sie, rappelt sich hoch und entwindet sich seinem schützenden Griff.
»Alles in Ordnung?«, fragt der Beamte.
»Fühlst du dich fit genug, da reinzugehen?«, fragt Ben sie.
»Mir geht es gut.«
»Alles bestens«, versichert Ben dem Polizisten, bevor er sich wieder Amanda zuwendet. »Bist du sicher?«
Statt zu antworten, stößt Amanda die Tür auf und betritt das Krankenzimmer ihrer Mutter.
Was sie sieht: eine kleine Frau, eingepackt in steife Krankenhauslaken, ihr Gesicht eine flammende Palette von roten und violetten Klecksen. Eine Reihe von Schläuchen an ihren Armen, durch einen sickert langsam Flüssigkeit aus einem Infusionsbeutel in ihre Vene.
Am Fuß des Bettes rührt sich unvermittelt eine Gestalt.
Was machst du hier, fragt Amandas Vater.
»Das sind die Tochter und der Anwalt von Gwen Price«, erklärt der Polizist der Krankenschwester, die das Taschenbuch, das sie gelesen hat, auf einem Stuhl ablegt.
Warum ist Mami im Bett?
»Wie geht es meiner Mutter?«, fragt Amanda die Schwester.
Sie ruht sich aus.
»Wegen der Schläge sieht es schlimmer aus«, erwidert die Schwester.
Warum ruht sie sich aus? Ist sie krank?
»Wir mussten ihr natürlich den Magen auspumpen«, fährt die Krankenschwester fort. »Aber sie hat Glück gehabt. Die Tabletten waren noch nicht lange in ihrem System. Morgen ist sie wieder wohlauf.«
Morgen gebt es ihr wieder besser.
»Wie lange werden Sie sie hier behalten?«
Jetzt geh, Mandy. Du willst sie doch nicht wecken.
»Nur über Nacht.«
Doch. Ich will mit ihr spielen.
»Können wir ein paar Minuten allein mit ihr sprechen?«
Jetzt nicht, Amanda. Vielleicht wenn sie sich ein bisschen besser fühlt.
»Ich fürchte, das
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