Tanz, Pueppchen, Tanz
endgültig wach macht und sie die hübsche philippinische Kellnerin hereinbittet. Die junge Frau stellt das Tablett am Fußende des Bettes auf. »Waren Sie hier, als dieser Mann erschossen wurde?«, fragt Amanda beiläufig, als ihr die Frau die Rechnung zum Unterschreiben gibt. Ein Versuch konnte schließlich nicht schaden.
Die Kellnerin schüttelt den Kopf, und ihr dunkler Pferdeschwanz wippt entschlossen hin und her. »Es war mein freier Tag.«
»Schreckliche Geschichte.«
»Ja, Miss. Sehr schrecklich.«
»Haben Sie Mr. Mallins je getroffen?«
Erneut ein energisches Kopfschütteln.
»Soweit ich weiß, wohnt seine Familie im 24. Stock.«
»Ich weiß nicht, Miss«, unterbricht die Kellnerin Amanda, bevor sie noch etwas sagen kann. Sie zeigt auf den Tabletttisch. »Hier ist Orangensaft, Kaffee, Eier mit Bacon, Vollkorntoast und Morgenzeitung. Kann ich Ihnen sonst noch etwas bringen?«
»Nein, nichts. Vielen Dank.«
»Einen schönen Tag noch.«
»Ihnen auch.« Amanda gießt sich eine Tasse Kaffee ein, nimmt sie mit ans Fenster und starrt auf die Straße. Es herrscht kaum Verkehr, was nicht weiter überraschend ist, weil noch früher Sonntagmorgen ist und es die ganze Nacht geschneit hat. Warum hat sie die arme Kellnerin so bedrängt? Glaubte sie wirklich, dass das Servicepersonal irgendetwas Wichtiges wusste? Selbst wenn sie jemanden überreden könnte, ihr die Nummer des Zimmers zu verraten, in der die Familie des toten Mannes wohnt, und sie auch noch tollkühn genug wäre, sich dorthin zu begeben, bedeutet das nicht notwendigerweise, dass Mrs. Mallins etwas darüber weiß, warum ihr Mann erschossen wurde. Und selbst wenn, glaubt Amanda ernsthaft, dass die Frau diese Informationen mit der Tochter der Mörderin ihres Mannes teilen möchte?
Aber sie zu treffen und mit ihr zu reden könnte zumindest einen Hinweis liefern.
Oder vielleicht auch nicht.
Wann hat sie je eine Ahnung von irgendetwas gehabt, was ihre Mutter betraf?
Amanda kehrt zu dem Tisch mit dem Frühstückstablett zurück und wirft einen Blick auf die Zeitung. Die Titelseite wird von einem möglichen Krieg der Amerikaner gegen den Irak beherrscht, der immer wahrscheinlicher wird. Hier findet sich genauso wenig ein Hinweis auf den Mord wie im gesamten ersten Teil. Erst in dem mit GTA überschriebenen Teil der Zeitung, was ihrer Vermutung nach für Greater Toronto Area steht, wird das Verbrechen erwähnt, wobei der Artikel im Grunde eine Zusammenfassung all dessen ist, was sie bereits gelesen hat. Weiter Rätsel um Mord an Touristen stellt die kleine Überschrift fest, wobei Mrs. Mallins in dem folgenden Artikel praktisch unerwähnt bleibt.
»Irgendwer muss doch was wissen«, murmelt Amanda und zieht die Zellophanfolie von dem Glas mit frisch gepresstem Orangensaft, das sie in einem langen Schluck austrinkt. Sie sieht auf die Uhr. Halb neun. Noch viereinhalb Stunden, bis sie Ben in der Lobby trifft. Was soll sie bis dahin machen?
»Ich kann nicht mal einkaufen gehen«, jammert sie, weil sie weiß, dass die Läden erst mittags aufmachen. Sie schaltet den Fernseher ein und zappt sich so rasant durch die Programme, dass die Fernbedienung hängen bleibt, weil deren schwache Batterien nicht mit dem Tempo ihres Daumens mithalten. Irgendwann gelingt es ihr, das verdammte Ding auszuschalten, und sie wirft die nunmehr nutzlose Fernbedienung auf den Boden und beendet ihr Frühstück in Stille. Anschließend putzt sie sich die Zähne mit Bürste und Zahnseide, bis ihr Zahnfleisch schmerzt, bevor sie sich lange unter die Dusche stellt und gnadenlos alle Haut abkratzt, die das Bad am Abend zuvor überlebt hat. Sie braucht fast vierzig Minuten, um sich die Haare so zu stylen, dass sie aussehen, als wären sie überhaupt nicht gestylt, und beinahe genau so lange, um sich so zu schminken, als wäre sie ungeschminkt. Danach zieht sie sich ihren schwarzen Rollkragenpullover so ungestüm über den Kopf, dass sie praktisch noch mal von vorne anfangen muss. »Was zum Teufel mache ich hier?«, fragt sie ihr Spiegelbild und überlegt ernsthaft, ihre Tasche zu packen und das nächste Flugzeug zu nehmen.
Es klopft. Ben, fragt sich Amanda, als sie ein Geräusch auf dem Flur hört. Ist es möglich, dass der Mann an der Rezeption Ben eine Schlüsselkarte zugesteckt hat, die er auch tatsächlich benutzt? »Ben?«, fragt Amanda laut und kommt aus dem Bad, als sich ihre Zimmertür öffnet.
»Oh, tut mir sehr Leid«, ruft eine Frau in einer ordentlichen blauen Uniform.
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