Tanz, Pueppchen, Tanz
Designer-Hüftjeans.
»Ist Ihnen nicht kalt?«, kann Amanda sich nicht verkneifen zu fragen. Obwohl das Mädchen nicht mehr als fünf Jahre jünger sein kann als sie selbst, hat Amanda zusehends den Eindruck, einer komplett anderen Generation anzugehören. Seit wann fühlt sie sich so alt?
Monica schüttelt den Kopf, dass ihr die krausen blonden Locken in die Stirn und die eng zusammenstehenden, graublauen Augen fallen. »Hier drinnen wird es ziemlich heiß. Suchen Sie was Bestimmtes?«
»Der Mantel im Fenster …«
»Der schwarze Parka?«
Amanda nickt, und die Verkäuferin führt sie zwischen voll gestapelten Regalen hindurch zu einem Sonderangebotsständer mit fleecegefütterten Parkas im hinteren Teil des Ladens. Sie zieht ihren Mantel aus, wirft ihn auf den Boden, lässt sich von Monica in einen der schwarzen Parkas helfen und betrachtet sich in dem bis zum Boden reichenden Spiegel an der Rückwand.
»Haben Sie schon mal über Rot nachgedacht?«, fragt Monica.
»Rot?«
»Schwarz ist schick und alles – verstehen Sie mich nicht falsch, es steht Ihnen gut –, aber das Rot ist phantastisch. Sie sollten es anprobieren.«
»Ich glaube nicht.«
»Vertrauen Sie mir«, sagt Monica, und Amanda lächelt. Seit wann erwecken krause blonde Locken und eine tief sitzende Jeans spontan Vertrauen? Doch im nächsten Moment hat sie den schwarzen Parka bereitwillig gegen einen roten eingetauscht. »Ich wusste es«, sagt Monica. »Sie sehen toll aus. Das Rot stehen Ihnen wirklich gut.«
Amanda betrachtet sich im Spiegel und ist überraschend zufrieden mit dem, was sie sieht. Das arme zurückgelassene kleine Kind, das an einer kalten und zugigen Straßenecke dem Ex-Mann nachwinkt, ist verschwunden. Stattdessen blickt ihr eine wahrhaft scharlachrote Frau entgegen, die berühmte Lady in Red. »Den nehme ich.«
»Super.« Monica klatscht mit teenagerhafter Begeisterung in die Hände. »Darf es sonst noch was sein?«
»Ich weiß nicht. Haben Sie noch eine Idee?«
»Ich hätte einen zum Sterben schönen lila Pullover.«
»Lila?«
»Vertrauen Sie mir«, sagt Monica.
Eine halbe Stunde später steht Amanda staunend und belustigt daneben, während das Mädchen ihre diversen Einkäufe addiert, und fragt sich, was sie in Florida mit all den Wintersachen anfangen soll.
»So, was haben wir? Einen lila Mohair-Pullover, einen blauen Kaschmirrolli, eine blaue Hose, ein Paar schwarze Lederhandschuhe und natürlich einen fantastischen roten Parka. Wie möchten Sie bezahlen?«
Amanda gibt Monica ihre Kreditkarte. »Kann ich den Mantel gleich anbehalten?«
»Er gehört Ihnen«, sagt Monica und lässt lächelnd ihre perfekten Zähne aufblitzen. »Warten Sie, ich mache noch eben die Etiketten ab.« Fachmännisch entfernt sie die diversen Anhänger und schiebt den glänzenden roten Parka über den Tresen. »Ich kann Ihnen Ihren alten Mantel in eine Tüte packen, wenn Sie wollen.«
»Nein, nicht nötig. Behalten Sie ihn.«
»Was?«
»Schenken Sie ihn jemandem, der ihn brauchen kann.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Absolut.«
»Nun, das ist sehr nett von Ihnen … Amanda«, fügt sie hinzu, als sie den Namen auf der Kreditkarte liest und den Kassenzettel ausdruckt. »Sie haben sich ein paar wunderschöne Sachen gekauft. Viel Freude damit.«
»Danke.« Amanda schlüpft in die Ärmel ihres neuen Mantels, schlingt ihn um ihren Körper und genießt die behagliche Wärme. Wer braucht Ben Myers, denkt sie, schlägt die fleecegefütterte Kapuze hoch und verlässt den Laden.
»Amanda?«, ruft ihr die Verkäuferin nach. »Verzeihung, Miss Travis.«
Amanda bleibt stehen, dreht sich um und drückt den Mantel enger an ihre Brust für den Fall, dass Monica ihn ihr entreißen will. Mir ist ein Irrtum unterlaufen, hört sie bereits die Entschuldigung der jungen Verkäuferin. Ich fürchte, der Mantel war bereits verkauft. Sie müssen ihn zurückgeben.
»Das sollten Sie lieber mitnehmen«, sagt Monica und streckt die Hand aus. Amanda sieht ein Sparbuch und einen kleinen Schlüssel. »Gehört vermutlich zu einem Schließfach.«
»Mein Gott.« Den Schlüssel und das Sparbuch aus dem Schuhkarton im Kleiderschrank ihrer Mutter hat Amanda völlig vergessen.
»Gut, dass ich noch mal in den Taschen nachgesehen habe.«
»Ja, sehr gut«, stottert Amanda.
»Und Sie sind wirklich sicher, dass Sie den Mantel hier lassen wollen?«
»Unbedingt.«
»Okay. Dann nochmals vielen Dank.«
»Ich danke Ihnen. «
»Einen schönen Tag noch.«
Schön, denkt
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