Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
Vom Netzwerk:
seiner Unternehmungen. Er hat sich von seiner Frau scheiden lassen und das Mädchen geheiratet, das da neben ihm steht, Madeleine heißt sie, eine Achtzehnjährige, inzwischen müsste sie neunzehn sein. Sie ist jünger als sein eigener Sohn.«
    Madeleine sah tatsächlich sehr jung aus. Die Krempe ihres Hutes überragte ihre schmalen Schultern. Bei ihr und John Jacob Astor standen drei Bedienstete, einer davon hielt einen Hund an der Leine, einen Airedale Terrier mit schwarzem Rücken und rotbraunem Bauch. Es war ein lebhaftes Tier, das nicht recht zur steifen Haltung der Astors passen wollte: Kaum je stand es fünf Sekunden still, es witterte, machte ein paar Schritte, blickte hoch, roch an einem Schuh, kam zurück, stupste Madeleine an.
    »Es gab einen Riesenaufruhr«, sagte Cäcilie, »nicht weil sie so jung ist, sondern weil er sich wegen ihr scheiden lassen hat. Das machen die Reichen nicht, man lässt sich nicht scheiden, man hat Mätressen, auch öffentlich, aber eine Scheidung – damit hat er gegen die Konventionen verstoßen.« Sie fügte hinzu: »Er schreibt Romane.«
    »Ich frage mich, wo du solche Dinge erfährst. Beim Friseur? Oder aus Frauenzeitschriften?«
    »Der Mann, der jetzt zu ihnen tritt«, raunte sie, »ist Benjamin Guggenheim. Er ist ebenfalls Millionär. Lieber Himmel, fahren die alle mit der Titanic? Du kannst davon ausgehen, die Astors und die Guggenheims wohnen nicht in einer einfachen Kabine. Sie haben sicher die teuersten Suiten gebucht.«
    »Wie im Märchen«, hauchte Samuel und legte die Fingerspitzen an die Scheibe, als könnte er die Titanic berühren.
    Die Traffic, der zweite Zubringerdampfer, näherte sich dem Rumpf der Titanic an anderer Stelle. Die Titanic ließ sie wie ein Spielzeugboot erscheinen. Türen wurden im Rumpf des Kolosses geöffnet, und die Seeleute des Luxusliners fingen Seile auf, die ihnen zugeworfen wurden. Mit geübten Handgriffen vertäuten die Seemänner die Tender und senkten Rampen herab, Zugänge mit eisernem Geländer. Die Traffic richtete zugleich ein Förderband auf das große Mutterschiff. Unverzüglich begann das Band, Postsäcke hinüberzufahren.
    Auch die breite Schiebetür der Nomadic öffnete sich. Kalte Luft zog herein, es roch nach Tang und Fisch. Schon gingen die ersten Passagiere über die Rampe, John Jacob Astor, Guggenheim, ihre Dienerschaft. Scharen von Fahrgästen folgten. Man ließ sie ein in das Riesenschiff.
    Matheus hob die Koffer an. Cäcilie nahm ebenfalls, ohne zu murren, zwei Koffer. Die Reise war anstrengend gewesen, allein die Zugfahrt von Paris zum Gare Maritime in Cherbourg hatte sechs Stunden gedauert, und dann noch das Warten hier – aber Cäcilie schien jetzt bester Laune zu sein.
    »Guck mal, Papa, das Wasser!« Samuel sah vom Steg hinunter auf die schwarzen Wogen. »Ich seh keine Fische. Gibt es hier Wale?«
    »Bestimmt«, sagte Matheus. »Geh weiter, hinter uns kommen noch andere Leute.«
    Im Schiff nahm ein Offizier ihre Bordkarten entgegen, in einem großen Raum mit Tischen und Stühlen, und sah auf einer Liste nach. »Matheus Singvogel«, sagt er, »Cäcilie Singvogel, Samuel Singvogel. Sie sind Deutsche?«
    »So ist es.«
    Der Offizier rief einen Kabinenjungen. Der Junge war kaum fünfzehn Jahre alt, aber in einen Anzug gekleidet wie ein Erwachsener. Er sagte freundlich: »Bitte, folgen Sie mir.«
    »Siehst du?«, sagte Cäcilie. »Wozu die Sorgen, Matheus, sie sprechen Deutsch mit uns!«
    Der Schiffsjunge wandte sich um. »Erlauben Sie.« Er nahm Cäcilie die Koffer ab und schleppte sie tapfer voran. An einer Gittertür blieb er stehen.
    »Ein elektrischer Aufzug, hier an Bord?« Matheus war verblüfft. Er besah die Steuerknöpfe. »Wie viele Etagen hat die Titanic?«
    Der Junge stellte die Koffer ab. »Wir haben sieben Decks für Passagiere, Sir, hinzu kommen drei Decks für Fracht und Maschinenräume. Insgesamt sind es also zehn.«
    Es duftete nach frischem Holz und Lack. Alles war neu, jeder Winkel penibel sauber. Und zehn Stockwerke! Er sah sich nach Cäcilie und Samuel um. Ihre Gesichter strahlten. Der Eindruck, den das Schiff auf sie machte, kam ihm vor wie sein eigener Verdienst – schließlich hatte er diese Reise gebucht, und sie war nur möglich geworden, weil man ihn nach Chicago eingeladen hatte. Euphorie stieg in ihm auf, er fühlte sich stark.
    »Das ist ja eine schwimmende Stadt!«, sagte Cäcilie.
    Die Aufzugtür öffnete sich. »So könnte man es nennen, Miss.« Der Kabinenjunge hob die Koffer wieder

Weitere Kostenlose Bücher