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Tapas zum Abendbrot

Tapas zum Abendbrot

Titel: Tapas zum Abendbrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Basel Nicole Frick Marike
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einen Kuss auf die Wange geben will, reagiert der meist mit Befremden. Oder er streckt ihr gleich einfach nur die Hand entgegen. Wenn sie fragt: »Wie geht’s?«, eine ganz normale Begrüßungsformel aus ihrer Heimat, dann schaut ihr Gegenüber sie meist verwundert an und sagt: »Gut, warum?« Sie denkt dann: »Ich frage ja nur!« Und ist frustriert, weil sie zu diesen Deutschen einfach keinen Draht aufbauen, keine Nähe herstellen kann. Schlimm war auch dieser Scherz, den Adrian eines Tages machte: »Wir sollten nach dem ersten Kind möglichst schnell ein zweites bekommen«, sagte er. Isabel freute sich. Natürlich wollte sie eine große Familie! Dann aber fügte Adrian hinzu: »Damit wir die Kinder später schneller aus dem Haus haben.«
    Er habe das wirklich nicht ernst gemeint, beteuert Adrian heute. Isabel war damals trotzdem entsetzt. Denn sie hatte bereits genug über Deutschland gelernt, um seinen Scherz für bare Münze zu nehmen.
    In Deutschland mögen viele Menschen keinen Kinderlärm, und auch keine allzu lauten Gespräche. Sie freuen sich nicht laut- und ausdrucksstark, wenn sie jemanden wiedersehen. Und sie finden es merkwürdig, enthusiastisch begrüßt zu werden. Isabel muss deshalb alles etwas herunterfahren, wenn sie gut ankommen will, auch wenn das für sie bedeutet, dass ihr Leben in Deutschland ein Leben auf Sparflamme ist. Ihr Mann Adrian, das merkt man schnell, ist ein würdiger Vertreter seines Kulturkreises: zurückhaltend, höflich, überlegt, manchmal auch recht einsilbig. Einer, der sagt, er brauche auch mal Stille und Alleinsein. Für einen Deutschen völlig normale Ansprüche – für Isabel aber eine Merkwürdigkeit. Ihr ist deshalb vor allem eines wichtig: dass ihre Tochter Mari-Luz nicht so wird wie die Deutschen.
    Dass diese Deutschen ihr einmal so fremdartig, so unverständlich erscheinen würden, das hätte Isabel nicht gedacht, als sie Adrian kennenlernte. Der Student mit den wilden Locken und dem jungenhaften Gesicht wurde ihr von einem Freund vorgestellt. Damals waren sie alle gemeinsam in Boliviens Hauptstadt La Paz tanzen – und kamen ins Gespräch. Isabel erfuhr, dass dieser nette Deutsche als Freiwilliger in einem kleinen bolivianischen Dorf ein Jahr lang Englisch unterrichtete. Er gefiel ihr. Und Adrian fand, dass gerade die schönste Frau von La Paz vor ihm stand. Die beiden wurden ein Paar. In den folgenden Monaten sahen sie sich fast jedes Wochenende, wenn Adrian aus dem Andendorf in die Hauptstadt fuhr. Aufmerksam war er, fand Isabel, zugewandt, fröhlich, aufrichtig. Überhaupt verhielten sich alle deutschen Touristen, die sie in Bolivien kennenlernte, sehr, sehr nett.
    Dass Menschen sich im Urlaub manchmal anders geben als im Alltag, ahnte sie da noch nicht.
    Nach acht gemeinsamen Monaten ging Adrians Zeit in Bolivien schließlich zu Ende. Und Isabel dachte: Warum nicht mit ihm gehen? Sie wollte ihn nicht verlieren. Und so schwer konnte es doch nicht sein, in Deutschland zu leben.
    Doch seit sie in Adrians Land leben, ist alles anders gekommen, als Isabel sich das damals ausgemalt hatte. Die Deutschen erscheinen ihr kühl, unnahbar, jeder bleibt ein bisschen für sich. Und auch Adrian hat sich verändert, findet Isabel. Er ist sehr beschäftigt mit seinem Ingenieursstudium, manchmal auch schlecht gelaunt, kann und will nicht 24 Stunden am Tag mit ihr zusammen sein. Die beiden leben jetzt zusammen in Leipzig und sind mittlerweile verheiratet – so konnten sie sich den erneuten Visumsantrag und den dafür nötigen Rückflug nach Bolivien sparen. Für Isabel ist Leipzig eine völlig neue Welt. Ihr Freund hat ihr am Anfang zwar gezeigt, wie man den Straßenbahnplan liest und erklärt, dass sie nicht nur auf Auto-, sondern auch auf Radfahrer achten muss – aber nur ein einziges Mal, danach sollte sie allein zurechtkommen.
    In Bolivien gibt es keine Straßenbahn und keine Radwege. Für Isabel ist es deshalb schwierig, mit Ticketautomaten, Tarifen und den verschiedenen Linien klarzukommen. Und Adrian versteht nicht, wie man nur so schwer von Begriff sein kann. Er ist in seinem Leben schon viel gereist. Er hat gelernt, sich allein durchzubeißen, egal, wie andersartig ihm die Dinge erscheinen. Nachfragen, nach Plänen und Erklärungen Ausschau halten, anhand von Gebäuden die Orientierung behalten – das sind Überlebensregeln,

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