Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
Entscheidung, zu bleiben oder fortzugehen, vom Schicksal leicht gemacht worden war.
Als sich Iegi und Raisil kurz darauf, und nun vollständig angekleidet, zu ihnen gesellten, blickte er den beiden bereits mit tatendurstig leuchtenden Augen entgegen.
Der Vogelmensch lächelte verstehend und bot dem Freund den Arm zum Abschied. »Also dann … Ich wünsche dir alles Gute. Und mögen die Lichtgefiederten dich beschützen.«
»Danke«, sagte Tarean und ergriff den dargebotenen Arm. »Euch alle ebenso.«
Sie verharrten einen Herzschlag stumm, dann machte Iegi ein Gesicht, als fiele ihm urplötzlich etwas ein. »Oh, ich habe noch etwas für dich.«
Er griff in seine Gürteltasche und holte ein Kleinod an einer langen Lederschnur hervor. »Da es zur Tradition zu werden scheint, dass du dich in irgendwelche Abenteuer stürzt, während ich wegen meines Vaters zurückbleiben muss, gehört wohl auch dies dazu«, sagte er und hielt Tarean das Schmuckstück hin. Es war das Heilamulett, das Tarean vorhin noch von Ishilrins Hals hatte stehlen wollen. Ob er es bemerkt hat? , durchfuhr es den Jungen beschämt.
»Aber gehört das nicht Liftrai?«, wandte er schwach ein.
Der Taijirinprinz zuckte mit den Schultern. »Liftrai ist ein Diener meines Vaters. Kinrain hilft ihm bei seiner Arbeit, aber er wird auch ohne es zurechtkommen.« Iegi nickte Tarean auffordernd zu. »Nun nimm schon. Du wirst es sicher brauchen. Nur«, ein Grinsen umspielte seine Mundwinkel, »verehre es nicht gleich wieder der nächstbesten Frau, die deinen Weg kreuzt. Irgendwann geht auch mein Vorrat an machterfüllten Amuletten zur Neige.«
Tarean erwiderte das Grinsen, als er das Kleinod an sich nahm. »Danke, Iegi. Ich werde deine Worte beherzigen.«
»Auf, auf, Wunderknabe.« Moosbeere schwirrte vom Rand des Felsplateaus heran, wo sie bereits gespannt ausgeharrt und in die Ferne gespäht hatte.
»Ich komme schon, Moosbeere!«, rief Tarean. Dann wandte er sich Raisil zu, die für einen Moment unschlüssig wirkte, ihn dann allerdings kurz, aber herzlich umarmte. »Pass auf dich auf, Flachländer«, ermahnte sie ihn.
»Das werde ich«, versprach er ihr lächelnd und schwang sich auf Ro’iks Rücken. Er hob die Hand zum Gruß. »Bis bald, ihr beiden. Ich bin sicher, dass wir uns schneller wiedersehen, als ihr glaubt.«
Auf Iegis Miene blitzte ein verwegenes Grinsen auf, während er den Gruß erwiderte. »Das würde mich nicht überraschen.«
Dann klopfte Tarean Ro’ik auf den Nacken. Das stolze Tier breitete die Schwingen aus, und mit einem gellenden Jagdschrei begrüßte es den blauen Himmel, in den sie aufstiegen.
Während hinter ihnen Iegi und Raisil rasch kleiner wurden, zogen sie in einer weiten Kurve an der Stadt der Vogelmenschen vorbei, und Tarean warf einen letzten, langen Blick auf die an die graue Felsflanke geschmiegten Rundhäuser. Diese luftige Welt hoch in den Bergen war das letzte halbe Jahr über sein Zuhause gewesen. Ein Gefühl in seinem Herzen sagte ihm, dass er – ungeachtet seiner letzten Worte – nicht so schnell nach Airianis zurückkehren würde.
Der Junge gab seinem Reittier ein Zeichen, und der Greif wandte sich nach Osten, der aufgehenden Sonne entgegen. Unter den Hufen Ro’iks begann sich ein Wolkenstreifen zu bilden, und schon galoppierten sie hoch über den grünenden Talsohlen des Gebirges dahin.
Moosbeere huschte an Tareans Seite und wirbelte ausgelassen in der Luft umher, so als sei es die schönste und normalste Sache der Welt für ein Irrlicht, sich an einem Frühlingsmorgen eine frische Brise durch die Schmetterlingsflügel wehen zu lassen. Vielleicht habe ich mich die ganze Zeit getäuscht , durchfuhr es Tarean. Vielleicht wollte sie gar nicht in den Alten Wald zurück, sondern einfach wieder hinaus in die Welt. Nach mehr als hundert Jahren des Gefangenseins in dem Sammelglas eines greisen – und dann toten – Naturkundlers würde ich mich vermutlich auch nie wieder an einen Ort binden wollen.
Den ganzen Tag flogen sie über den Wolkenbergen dahin, wobei Tarean es Ro’ik überließ, die Reisegeschwindigkeit vorzugeben. Denn zum einen wollte er das Vogelpferd nach den Strapazen des gestrigen Vier-Gipfel-Rennens nicht unnötig schinden, zum anderen hatte der Greif ohnehin seinen eigenen Kopf und wusste besser als jeder Reiter, welchen Tritt er einzuschlagen hatte, um sowohl rasch als auch unter Schonung der eigenen Kräfte ans Ziel zu gelangen. Tarean schätzte, dass sie At Arthanoc auf diese Weise
Weitere Kostenlose Bücher