Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
geschehen?«
Federleicht ließ sich das Irrlicht auf seinen Knien nieder und legte den Kopf schief. Auf Moosbeeres hübschem Gesicht lag Unverständnis. »Wie alt werdet ihr Menschen eigentlich? Hast du noch viele Jahre vor dir, oder wird dein Körper schon schlaff und dein Geist vergesslich?«
»Äh … wie meinst du das?« Tarean hob die Augenbrauen. »Ich hoffe schon, noch ein paar Jahre zu leben. Wieso?«
»Weil«, erklärte Moosbeere mit mitleidvoller Miene, »du mich gestern schon in unserem Gemach gefragt hast, was passiert sei. Und ich sagte, ich wüsste es nicht. Ist dir das bereits entfallen? Oder weshalb fragst du mich das jetzt noch einmal?«
Der Junge sah das zarte magische Geschöpf still an. »Ich frage dich, weil wir im Augenblick völlig allein sind – zum ersten Mal, seit langer Zeit. Auril, Bromm, Iegi, Kiesel, das Albenheer oder die Vogelmenschen – niemand von ihnen ist in der Nähe. Niemand kann uns sehen oder hören. Wenn es also eine gute Gelegenheit gibt, ein aufrichtiges Gespräch zu führen, dann wohl hier und jetzt.«
»Ein aufrichtiges Gespräch?« Moosbeere schien für zwei Herzschläge zu verblüfft, um irgendetwas zu erwidern. Dann stemmte sie empört die winzigen Fäuste in die Hüften. »Glaubst du etwa, ich wäre nicht aufrichtig zu dir gewesen?«, piepste sie zornig. »Tarean Keinriese, das ist eine ganz gemeine Unterstellung!«
»Ich sage ja gar nicht, dass du mich angelogen hast«, wiegelte Tarean ab. »Es scheint mir nur manchmal so, als würdest du Fragen umgehen. Über deine Gaben. Über deine Verbindung zur Alten Macht. Ich vermag nicht zu sagen, ob du absichtlich so handelst oder ohne es zu wollen oder gar zu merken – aber es ist so.«
»Gar nicht wahr!«, verteidigte sich Moosbeere und verschränkte mit herausforderndem Blick die Arme vor der Brust. »Wann soll das gewesen sein?«
»Nun, erinnerst du dich beispielsweise an die Nacht am Ufer des Riva, als wir uns wiedersahen, nachdem ich dich im Alten Wald zurückgelassen hatte?«
»Nein«, verkündete Moosbeere missgestimmt, runzelte dann die Stirn und verbesserte sich schließlich: »Doch. Ich weiß noch, dass der Brummbär versucht hat, mich zu fangen. Er hat ziemlich dumm geschaut, als ich ihm gezeigt habe, wozu ein Irrlicht fähig ist.« Die Erinnerung an das Erlebnis zauberte ein selbstzufriedenes Grinsen auf ihre Züge. »Das war lustig.«
»Damals habe ich dich gefragt, wie du mich gefunden hast?«, nahm Tarean den Faden wieder auf.
»Stimmt. Und ich sagte, ich hätte nicht dich gefunden«, ergänzte Moosbeere mit wissendem Nicken. »Was im Übrigen der reinen Wahrheit entsprach.«
»Womit du der Frage ausgewichen bist, wie du mich gefunden hast!«, rief der Junge triumphierend.
Das Irrlicht verdrehte die Augen. »Euch Menschen muss man aber auch alles zweimal erklären«, seufzte sie. »Ich habe es dir doch bereits nach deinem Zwist mit den Trollen im Wald gesagt: Ich bin ein Geschöpf der Alten Macht.«
»Und was soll das heißen?«
Moosbeere erhob sich von seinen Knien und huschte direkt vor seine Nase. »Hallo, jemand zu Hause?«, fragte sie, während sie mit einer kleinen Faust kräftig an Tareans Stirn klopfte. »Ich kann die Alte Macht spüren! So wie sie mich spürt. Und wer von uns beiden nennt das wohl mächtigste Schwert sein eigen, dem man in diesen Tagen auf der ganzen bekannten Welt begegnen kann, hm?«
»Oh.« Der Blick des Jungen wanderte zu Esdurial, das dunkel und dem Anschein nach völlig gewöhnlich in seiner Scheide ruhte. Tatsächlich handelte es sich um eine magische Klinge von enormer Kraft – und ihr strahlend fauchendes Drachenfeuer hatte Moosbeere in der Vergangenheit nicht nur aus ihrem hundertjährigen Schlaf erweckt, sondern sogar von der Schwelle des Todes zurückgeholt. Es war ihm ein wenig peinlich, dass ihm diese naheliegende Antwort nicht schon früher in den Sinn gekommen war.
»Na schön«, versuchte er die Situation zu überspielen. »Aber was ist mit deiner Gabe zur Verwandlung? Damals in Tiefgestein erschienst du mir im Schlaf als menschengroße Frau. Später hast du behauptet, das hätte ich nur geträumt. Aber das gestern Nacht war kein Traum! Kurz bevor Kesrondaia durch dich sprach, hast du dich verwandelt! Oder wie willst du erklären, was dort geschah?« Er blickte Moosbeere unverwandt in die strahlend blauen Augen.
Ihre Aura schien leicht an Helligkeit zuzunehmen, so als berühre die Frage etwas in ihr. Dennoch zuckte das Irrlicht nur arglos mit den
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