Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
aus Trauer und Triumph. »Wir beide, Calvas und ich, waren uns näher, als es mir lieb gewesen wäre. Schließlich war es meine Kraft, die ihm einen Großteil seiner Macht verlieh. Und auch wenn ich mich außerstande sah, gegen diesen Missbrauch aufzubegehren, so gelang es mir doch, die eine oder andere Ränke aus seinem Geist herauszulesen. Der Hexer ist ein listenreicher und gefährlicher Mann, aber letzten Endes auch nur ein Sterblicher.«
Tarean wollte zu einer weiteren Frage ansetzen, doch Kesrondaia hob eine Hand. »Warte. All deine Fragen später. Lass mich erst die meinen stellen.«
Der Junge nickte stumm.
»Viele Jahre herrschte Calvas mit seinem Dämon, dem Grimmwolf, über At Arthanoc – und ich war seine Sklavin. Doch dann spürte ich eines Tages, dass der Fluch des Grimmwolfs von diesem Ort genommen worden war, und ich sah, dass Calvas, der Hexenmeister, eine vernichtende Niederlage erlitten hatte. Endlich gelang es mir, durch den brüchig werdenden Schild des Hexers, der mich vor den Augen der Welt verborgen hatte, einen Ruf an unsere Verbündeten, die Ritter des Kristalldrachenordens, zu senden. Doch der Einzige, dessen Gesicht sich mir offenbarte, warst du. Wie kann das sein?«
Tarean blickte Kesrondaia ernst an. Er bezweifelte, dass sie ihr Schicksal würde leichter ertragen können, wenn sie erfuhr, wie es um den Orden in der Welt stand. Trotzdem musste er ihr die Wahrheit sagen. »Ich fürchte, es gibt keine Kristalldrachenritter mehr. Zumindest hat man seit Jahren keinen gesehen. In Thal traf ich einen Mönch, der einst dem Orden angehört hatte, doch er schien seinen Glauben verloren zu haben. Wenn ansonsten noch irgendwo welche leben, halten sie sich gut verborgen. Angesichts der Erbarmungslosigkeit, mit der Calvas und seine Schergen sie in meiner Kindheit verfolgt haben, ist das auch kein Wunder.«
Die Kristalldrachin schaute ihn einen Moment beinahe fassungslos an, dann senkte sie den Kopf. »Wenn das so ist, kann keiner von ihnen mehr am Leben sein«, flüsterte sie. »Ich hätte sie mit meinem Ruf sonst erreichen müssen.«
Der Junge räusperte sich unbehaglich. »Nun, vielleicht wart Ihr einfach schon zu geschwächt. Es kann gut sein, dass auch ich Euch nur vernommen habe, weil ich Euch vergleichsweise nah war. Die Strecke zwischen At Arthanoc und Airianis beträgt kaum mehr als hundert Meilen. Zudem hatte ich Moosbeere an meiner Seite. Genau genommen war sie es, die Euren Ruf als Erste verspürte.«
Für seinen unbeholfenen Versuch, ihr Trost zu spenden, schenkte ihm Kesrondaia ein dankbares Lächeln. Aber in ihren Augen lag Trauer. »Ich hoffe, dass du recht hast, mein Kind. Ich hoffe es.« Sie straffte sich. »Aber du bist immerhin der Sohn Anreons, und dessen Name war unter meinesgleichen kein unbekannter. Außerdem trägst du ein Schwert bei dir, in das die Runen der Kristalldrachen eingelassen sind – und es ist nicht das schwächste seiner Art. Es muss genügen.«
»Wofür?«, fragte Tarean.
»Ich habe eine Aufgabe für dich, die von höchster Wichtigkeit ist«, eröffnete ihm die silbern Gewandete. »Ich bitte dich …« Unvermittelt verstummte sie und schien in sich hineinzuhorchen. »Warte. Wir sind nicht mehr allein!«
»Was?«
»Zwei Geflügelte sind durch den Schlund eingedrungen.« Die Kristalldrachin ließ zwischen ihnen ein Bild in der Luft entstehen, und Tarean riss die Augen auf, als er sah, wer sich da völlig unerwartet zu ihnen gesellt hatte.
»Iegi und Raisil?«
»Du kennst die beiden?«, wollte Kesrondaia wissen.
Der Junge nickte. »Ja, sie sind …«
»Dann sag ihnen«, unterbrach ihn die weiße Frau, »dass sie sofort von hier verschwinden müssen. Sie sind in größter Gefahr!« Ihre Miene wirkte auf einmal drängend, ja, beinahe panisch.
»Was? War…«
»TU ES!« Übergangslos löste Kesrondaia die geistige Verbindung zwischen ihnen, und das Kristalltal wich dem unterirdischen Felsendom, in dem Moosbeere und Tarean die Kristalldrachin entdeckt hatten.
Der Junge blinzelte verwirrt und versuchte, sich zu orientieren.
Moosbeere huschte an seine Seite. »Schau, Tarean, wer uns gefolgt ist.«
Ein paar Schritt entfernt hockte Iegi auf dem Steinboden, anscheinend in der Pose erstarrt, in der er gelandet war, und blickte sich mit unverhohlener Ehrfurcht, die langsam in Begeisterung umschlug, in der Höhle um. Hinter ihm stand Raisil, nicht weniger beeindruckt.
Der Vogelmenschenprinz bemerkte Tarean, und mit einem anerkennenden Pfiff erhob er sich
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