Tarean 02 - Erbe der Kristalldrachen
Hexers ein weiteres Mal näher kam und sich diesmal Raisil zuwandte.
Die Nistschwester Iegis schrie erschrocken auf und trat nach ihrem unheimlichen Angreifer. Doch der Versuch einer Verteidigung ging widerstandslos und ohne Wirkung durch die rauchgeschwängerte Gestalt Calvas’ hindurch. Angsterfüllt stieß sie sich vom Boden der Höhle ab und versuchte, flügelschlagend dem Feind zu entkommen. Aber schon war der Hexer bei ihr, hüllte mit seinem verderbten Schatten den Körper Raisils ein und brachte sie ins Trudeln. Der Schwung ihrer eigenen Flucht trug die Taijirin in die Dunkelheit zwischen zwei ineinander verkantete Kristallsäulen, und dort fiel sie mit einem Kreischen zu Boden.
»Raisil!«, schrie Iegi voller Furcht, sprang auf und wollte mit erhobenem Runenhammer auf die Absturzstelle zueilen.
In diesem Moment erhob sich jedoch eine Gestalt aus der Finsternis, reckte und streckte sich, als versuche sie, ein Gefühl für ein neues Kleidungsstück zu bekommen, und breitete dann in einer geradezu bedrohlichen Geste die Schwingen weit aus.
Atemlos beobachteten Tarean und Iegi, wie Raisil zwischen den Kristallsäulen hervor und zurück in den Lichtkreis von Moosbeeres Aura trat. Sie hatte sich äußerlich kein bisschen verändert – und doch schien sie nicht mehr dieselbe zu sein. Ein böses Lächeln, das Tarean bei Iegis Nistschwester noch nie gesehen hatte, verlieh ihrem jungen, hübschen Gesicht eine grausame Härte. »Nicht ganz das, was ich mir erhofft hatte.« Auch ihre Stimme hatte noch immer den gleichen Klang, nur war ihr jede mädchenhafte Unschuld, jeder naive Eifer abhandengekommen. »Aber vielleicht doch nützlicher als befürchtet.«
Entsetzen dämmerte in Tarean herauf. Das war nicht mehr Raisil vor ihnen. Der Schatten des Hexenmeisters hatte Iegis Nistschwester auf furchtbare Weise Gewalt angetan.
»Was hast du mit ihr gemacht, du Monstrum?« Iegis Hände verkrampften sich um den Runenhammer, doch er konnte Calvas nicht angreifen – nicht, solange er im Körper von Raisil steckte.
»Ich habe ihren Geist verdrängt, um mir ihren Körper zu leihen. Sie lebt noch und kann all dies mit ansehen. Doch die Kontrolle habe ich!«, eröffnete ihnen der Hexer im Leib des Mädchens. Als Raisil noch einen Schritt näher trat, erkannte Tarean doch eine Veränderung. In den zuvor dunklen Augen der jungen Taijirin brannte jetzt ein violettes Feuer – das Feuer der Besessenheit.
»Und nun«, fuhr Calvas fort, »verlasse ich euch.« Raisil machte Anstalten, sich in die Luft zu schwingen, zweifellos, um durch den Schlund zu verschwinden.
»Kesrondaia«, rief Tarean. »Wir müssen etwas tun!«
»NUTZE DAS SCHWERT«, donnerte die Kristalldrachin.
»Oh nein, meine Liebe«, fauchte Calvas wütend. Im Gegensatz zu den beiden Jungen schien Raisil durch die Gegenwart des Hexers in ihrem Geist vor den Auswirkungen der überwältigenden Präsenz Kesrondaias gefeit zu sein. Blitzschnell zuckten ihre Hände vor, eine auf die angekettete Drachin, eine auf die beiden Jungen gerichtet. Kesrondaias Körper erstrahlte in einem hellen Licht und bäumte sich mit gläsernem Kreischen gegen die Metallketten auf, als ein silber-weißer Energiestrom aus ihrem Inneren in die ausgestreckte Linke Raisils floss, deren Körper durchströmte und sich dann in Form violetter Blitze aus den Fingerspitzen der Vogelmenschenfrau entlud, Blitze, die Iegi und Tarean entgegensprangen und sie mit voller Wucht in die Brust trafen.
Mit einem doppelten Aufschrei zuckten die Jungen unkontrolliert zusammen. Neben Tarean verdrehte Iegi die Augen und prallte kraftlos und mit zitternden Gliedmaßen gegen einen aufragenden Kristalldorn. Gleichzeitig spürte Tarean, dass auch ihm die Knie einknickten, und es gelang ihm nur mit Mühe, stehen zu bleiben. Und dein Lederharnisch liegt in Janosthins Hütte, du Narr, schalt ihn seine innere Stimme. Als ob das einen Unterschied gemacht hätte, gab er schwach zurück.
Moosbeere, die an Kesrondaias Seite verblieben war, als sich Iegi und Tarean der verwandelten Raisil genähert hatten, stieß einen empörten Schrei aus und wollte auf den Hexer zufliegen. Ein ungezielter Blitzschlag in ihre Richtung zwang sie allerdings dazu, dieses Vorhaben noch einmal zu überdenken.
Mit qualmender Brust und zitternden Händen versuchte Tarean, Esdurial aus seiner Scheide zu ziehen. Doch Calvas kam der Bewegung zuvor, und der nächste Schlag des Hexers zog dem Jungen die Beine unter dem Körper weg. Schwer krachte er
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