Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
wischt sich mit einer Serviette über den Mund. Seine langsamen und präzisen Bewegungen sind ein klares Zeichen für Gefahr, und ich bin nicht der Einzige, dem das auffällt.
George betätigt sich wieder mal als Friedensstifter zwischen uns – wie schon so oft. Er lehnt sich zurück, wobei er seinen Thermosbecher mit Kaffee umklammert. Wir haben keinen Kaffee im Haus, deshalb muss er sich immer seinen eigenen mitbringen. Er nimmt einen Schluck, während er meinen Vater mit einem amüsierten Blick bedenkt. »Komm schon, Fred. Du kannst ihm nicht vorwerfen, dass er sich für deine Arbeit interessiert. Was meinst du überhaupt, wo er diese besondere Eigenschaft herhat?«
Dad setzt sich kerzengerade auf seinen Stuhl. Seine dunklen Haare sind ordentlich gekämmt. Sein Hemd ist ordentlich gebügelt. Er starrt mich über den Tisch hinweg an. Ich bin weder ordentlich gekämmt, noch trage ich ein gebügeltes Hemd.
Ist mir aber auch egal.
»›Lernen, ohne zu denken, ist eitel; denken, ohne zu lernen, ist gefährlich‹«, setzt er an, und ich ächze.
»Vergiss es«, sage ich, während ich mir, so schnell ich kann, die letzten paar Bissen von meinem Frühstück in den Mund stopfe, bloß damit ich möglichst bald diesem Vortrag entkomme, den ich schon tausendmal gehört habe. Er endet normalerweise damit, dass ich nicht bereit dazu bin, das zu wissen, was er weiß, weshalb ich mich am besten gleich wieder an den Schreibtisch setzen und den Mund halten sollte. »Ich bin mir sicher, dass du recht hast. Und ich bin mir sicher, dass ich unrecht habe. Zufrieden?«
Das meiste davon sage ich mit vollem Mund, und ein paar Brocken Eiweiß fliegen auf mein Tablett, während ich spreche, was mir einen schlitzäugigen Blick der Abscheu von ihm einbringt. Es fühlt sich wie ein richtiger Sieg an, als ich sehe, wie er meinetwegen so das Gesicht verzieht. »War schön, dich zu sehen, George. Ich muss zur Schule.«
Ich wende mich von meinem Vater ab, bevor sein Gesichtsausdruck sich wieder in diese neutrale, undurchdringliche Maske verwandelt, die er normalerweise trägt. Ich werfe mir meine Tasche über die Schulter und lächele. Ich habe ihn wütend gemacht und diesen Nervenkitzel will ich mir noch ein kleines bisschen bewahren.
Sollte nicht allzu schwierig werden. Ich habe sein magisches Scanner-Dingsbums sicher in meiner Tasche verstaut.
Pfeifend gehe ich zur Tür hinaus.
Meine gute Laune hält den Vormittag über an. Meine ersten beiden Unterrichtsstunden – Antike Geschichte und Ökonomie – sind zum Einschlafen langweilig, aber da können die Lehrer nichts dafür. Schuld ist mein Dad, der mich schon vor ein paar Jahren gezwungen hat, den Stoff zu lernen. Doch in der nächsten Stunde habe ich Chemieleistungskurs und da sitze ich mit ein paar aus der obersten Klasse zusammen, darunter auch Christina. Deshalb ist es in gewisser Weise super. Zunächst einmal, weil der Unterricht tatsächlich ziemlich cool ist, auch wenn ich meinen Vater zu ärgern versuche, indem ich ihm gegenüber so tue, als würde ich Chemie verabscheuen. Und dann noch, weil ich eine Stunde lang meine Freundin anstarren kann.
Das muss ich genießen und die Zeit auskosten, bis sie in ein paar Wochen ihren Abschluss macht.
Als es klingelt und wir alle von unseren Plätzen aufspringen, um zur nächsten Stunde zu gehen, dreht sich Christina mit angespanntem Gesicht zu mir um. »Ich bin ja so froh, dass du mit mir für die Abschlussarbeit lernst«, sagt sie, während sie ihr Buch in ihren Rucksack steckt. »Ich würde hier gern mit einem vernünftigen Notendurchschnitt abhauen.«
Mein Herz hämmert wie eine Faust in meiner Brust, als sie mir mit der Hand über den Arm fährt und dann zur Tür geht. Ich habe Chicão total vergessen. Die zusätzlichen Trainingseinheiten. Ich sollte sie aufhalten. Ich sollte ihr erklären, was passiert ist, dass ich schon verplant bin. Aber sie hat mich eben so dankbar angesehen, als wäre ich ihr Held, und das kann ich jetzt noch nicht loslassen. Ich werd’s ihr beim Mittagessen erzählen. Vielleicht fällt mir ja bis dahin noch etwas ein, wie ich mich vor dem Training mit Chicão drücken kann. Vielleicht krieg ich es ja noch hin.
Meine vierte Stunde, Spieltheorie, könnte echt super sein. Jedenfalls hatte ich das gehofft, als ich mich dafür anmeldete, anstatt einfach eine Freistunde zu nehmen. Aber der Lehrer ist Mr Lamb. Und der Kerl hat irgendetwas an sich, das ich schlicht nicht ausstehen kann.
Vielleicht liegt es
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