Tate Archer – Im Visier des Feindes: Band 1 (German Edition)
sie waren verzweifelt hinter dem Scanner her.«
Ein paar Sekunden lang starrt Mom mich an. »Da könntest du recht haben«, sagt sie dann langsam. »Wenn der H2-Kern den Scanner nicht wichtig – oder bedrohlich – fände, wäre Race Lavin nicht so hinter ihm her. Vor allem nicht auf diese Art …«
Ihre Stimme verliert sich in einem angestrengten Flüstern, und einen Moment lang denke ich, dass sie gleich anfängt zu weinen, dass sie endlich zeigt, dass sie der Tod meines Vaters schmerzt. Erinnerungen an seine letzten Momente brechen über mich herein. Er hatte diesen Ausdruck in seinen Augen, der verhieß, dass er noch so viel mehr zu sagen hätte und mir noch so viel mehr beibringen wollte. Es zieht mir den Sauerstoff aus der Lunge und verschließt mir die Kehle. Als meine Mutter, nun wieder glatt und kalt, geschickt die Richtung ändert, die die Unterhaltung nimmt, lasse ich sie also. Sie stellt Christina eine Menge Fragen über gewöhnliche Alltagsdinge, und ich merke, dass Mom möchte, dass sie sich wohlfühlt. Und das scheint auch erstaunlich gut zu funktionieren, denn Christinas Wangen glühen und ihre Bewegungen werden lockerer. Sie lächelt sogar ein paarmal, obwohl ihr Gesichtsausdruck zögerlich wird, wenn sie mich ansieht. Ich kann es ihr nicht verübeln.
Ich esse mechanisch, schaufele Nudeln in meinen Mund, weil das gerade einfacher ist, als zu sprechen. Die Augen halte ich auf meine Mom gerichtet. Wenn sie mir bloß ein Zeichen geben würde, dass ich ihr vertrauen kann, dass ihr etwas an meinem Vater lag, dass seine Wünsche ihr etwas bedeuten … Einen Augenblick lang dachte ich eben, ich hätte es gesehen, aber jetzt ist es schon wieder weg. Von allen Menschen auf der Welt sollte ich doch bei ihr am besten wissen, woran ich bin und dass ich mich auf sie verlassen kann. Mein Dad hat mir die Wahrheit jahrelang vorenthalten, und ihn kannte ich bedeutend besser, als ich sie kenne. Jetzt zähle ich ganz auf meine Mom, vertraue ihr mein Leben und das von Christina an, und ich wünschte, ich könnte sie als Anker benutzen. Ich bräuchte weiß Gott einen.
Als wir mit dem Abendessen fertig sind, frage ich sie, was der nächste Schritt ist. Sie sagt, dass sie ein paar Leute anrufen muss und morgen mehr weiß, dann wechselt sie wieder das Thema. Während sie spricht, beobachte ich weiterhin jedes Blinzeln, jedes Lächeln, jede Regung ihres Gesichts und suche nach Trauer oder Bedauern.
Nichts.
Als wir den Tisch abräumen, bin ich so weit, dass ich irgendwo reinschlagen will. Und ich merke, wie sehr ich die Christina von gestern vermisse, weil sie diejenige ist, mit der ich darüber sprechen könnte. Ich vermisse es, wie sie mein Gesicht berührt und mir sagt, dass mit ihr alles in Ordnung ist und dass mit mir alles in Ordnung ist und dass wir das zusammen durchstehen. Ich brauche sie, um mich gerade jetzt an ihr festzuhalten. Ich brauche sie, weil ich mein Ohr auf ihre Brust drücken und ihrem Herzschlag lauschen möchte. Doch nach allem, was passiert ist, bezweifele ich, dass sie mich lassen würde, und ich bin mir nicht mal sicher, ob es genauso helfen würde wie vorher, als ich die Wahrheit darüber, wer wir sind, noch nicht kannte. Das hält mich jedoch nicht davon ab, mich ihr nahe fühlen zu wollen, und dieser Wunsch wächst mit jeder Sekunde.
Ich spüle meinen Teller und mein Glas und stelle beides auf das Abtropfgestell. Christina steht mit ihrem Teller da, setzt sich aber schnell wieder hin und blinzelt.
»Huch«, sagt sie leise.
»Du musst erschöpft sein. Ich habe was zum Umziehen für dich«, sagt meine Mom und schreitet durch den Flur.
Ich setze mich neben Christina und streiche ihr zögerlich die Haare aus dem Gesicht. Ihre Haut ist ganz warm, beinahe heiß. »Wie geht’s dir?«
»Gut«, sagt sie mit leicht glasigen Augen. Sie sieht aus, als hätte der Tag sie ausgetrocknet, als hätte sie nichts mehr übrig.
Meine Mom kommt zurück, bietet ihr eine Yogahose und ein T-Shirt an. Christina nimmt die Sachen von ihr und schlurft gemächlich in Richtung eines der Schlafzimmer. Sie sieht so wackelig aus, dass ich beschließe, in ein paar Minuten nachzusehen, ob alles klar ist.
Meine Mutter folgt Christina mit dem Blick, bis sie in einem Schlafzimmer verschwindet. »Ihr liegt viel an dir«, sagt sie. »Und sie scheint ein netter Mensch zu sein. Aber du hättest sie nicht mit reinziehen sollen, Tate. Sie sollte nicht darin verwickelt sein.«
»Es ging alles ziemlich schnell«, blaffe ich
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