Tatort Mallorca - Die Tote in der Moenchsbucht
„Eigentlich wäre es mir lieber, sie würden mir eines meiner Mittel geben, da weiß ich, wie sie wirken. Ich bin nämlich eine Kräuterhexe, müssen Sie wissen.“ Gwen schaute die Frau genauer an. Sie wusste, sie war Mitte fünfzig, aber sie sah älter aus, obgleich sie trotz Krankenhausnachthemd Persönlichkeit ausstrahlte und ihr Gesicht zufrieden und klar wirkte.
Gwen fragte: „Haben Sie Kinder?“ Um dieses Thema kreiste damals ihr Denken. Sie hatte gerade eine Abtreibung hinter sich und war vor der Beziehung bis in den äußersten Zipfel Italiens geflüchtet.
„Ja, eine Tochter, aber lassen wir das ...“ Ein Schatten war über das Gesicht der Patientin gezogen, der sich sofort wieder aufhellte, als sie hinzufügte: „Und eine Enkelin.“
Als Gwen sie fragend anschaute, fühlte sich die Patientin offensichtlich verpflichtet zu erklären: „Das Verhältnis zu meiner Tochter ist nicht sehr gut. Ich habe sie sehr früh bekommen, nicht ganz gewollt.“ Um dann mehr zu sich als zu Gwen zu murmeln: „Weitere Schwangerschaften konnte ich mit Hilfe eines alten Indianerkrautes verhindern. Meine Freundin Sabina hat es entdeckt. Sie hat alles in ihren Aufzeichnungen festgehalten. Irgendwann werde ich ihr Wissen veröffentlichen und an die nächste Generation weitergeben. Meine Enkelin ...“
„Ich beschäftige mich ebenfalls mit der Wirkung von Heilkräutern, das ist sehr interessant. Wenn Sie wieder gesund sind, besuche ich Sie einmal, und Sie erzählen mir alles darüber. Jetzt muss ich weiter.“
Gwen hatte das Gespräch und das Versprechen vergessen. Erst beim Lesen von Ulla Hönigs Brief fiel ihr die Patientin wieder ein. Würde im Buch das Indianermittel enthalten sein, von dem die Rede gewesen war? Gwen sprach sofort mit dem Meister und schlug ihm vor, Ulla Hönig zum Kongress einzuladen. Neugierig wartete sie auf das Buch. Als es endlich kam, verwahrte es der Meister und gab ihr keine Gelegenheit, hineinzuschauen. Auch dieser Umstand hätte ihr bereits zu denken geben sollen. Dass sie trotzdem erfuhr, dass das gesuchte Mittel nicht darin enthalten ist, verdankte sie nur Rebekka, die ihr das Buch irgendwie für eine kurze Zeit beschaffte. Will Hetyei etwa auch ihre Forschungsarbeit für sich vereinnahmen, sie allein oder mit jemand anderen fortführen? Denn wie sonst ist es zu erklären, dass er die letzten Tage alles im Alleingang in Angriff nahm? Der Ärger lässt Gwen die Zähne aufeinanderreiben, so dass sie knirschen. Sie zählt zusammen: Erst holte er diese Ulla Hönig selbst vom Flughafen ab und blieb mit ihr allein im Haus. Dann brach er die Morgenséance ab, als sie nahe daran war, von Ullas Mutter den gesuchten Namen des Mittels zu erfahren. Später brüskierte er sie bei dem Gespräch mit Margo, und, das setzte allem die Krone auf, ganz offensichtlich plant er einen Gruppenzusammenschluss.
Bin ich die Einzige, die nicht informiert ist, fragt sie sich jetzt empört. Will er mich aus der Gruppe rausmobben? Hat er die Séance unterbrochen, um Ulla das Geheimnis zu entlocken, als sie bewusstlos war? Was beabsichtigt er mit dem Wissen anzufangen? Oder will er sogar Ulla an meine Stelle setzen? Will er das bei der Buchvorstellung morgen verkünden? Bin ich ihm unbequem?
Wie ein aufgescheuchter Wespenschwarm, dem man die Königin weggenommen hat, schwirren die Fragen in ihrem Kopf durcheinander. Sie beginnt den Punkt über ihren Augenbrauen zu massieren, weil Schmerzblitze das Denken plötzlich erschweren.
Unruhig wälzt sie sich im Bett hin und her. Ihr fällt ein, dass der Arzt der Gruppe Schambala sie gestern bei der Begrüßung ganz seltsam angesehen hat. Wissen alle Bescheid? Verspottet man sie insgeheim?
Sie zieht sich die Bettdecke über den Kopf. Einen Augenblick lang spielt sie mit dem Gedanken, einfach aus dem Hotel zu marschieren. Ein Mittel nehmen, langsam ins Meer gehen, und alle Probleme wären ...
Ihre Finger gehen zur Lade des Nachtisches.
Kapitel 22
Als Ulla wach wird, hört sie durch die offene Balkontür das Meer an das Ufer schlagen. Ebenso wie Ulla, grummelt es noch ein wenig verschlafen vor sich hin. Säuselt dem Sand sanfte Liebesweisen zu. Sie setzt sich auf, stützt sich auf den Ellbogen ab und betrachtet voller Zärtlichkeit den Geliebten neben sich. Enno liegt auf der Seite, sein dunkles Haar ist verwuschelt. Ulla staunt, wie sicher sie ist, genau diesen Mann zu lieben. Sie streckt die Hand aus, streicht sacht über seinen freiliegenden Arm. Dass die kleinen
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