Tatort Oslo - Unehrlich waehrt am laengsten
wurde: einem pakistanischen Ladenbesitzer mit langem Bart und grüner Schürze, Verbrechern mit Clownmasken, einem Kriminalkommissar, der mit dem Kajak zur Arbeit fuhr, versteinerten Tigern … das reinste Irrenhaus! Es hätte sie nicht gewundert, wären ihr zur Krönung des Tages noch ein paar Kugeln um die Ohren geflogen, weil sie mitten in eine Gangsterjagd hineingerieten.
Erschöpft schloss Franziska die Augen und fragte sich einmal mehr, ob man sich dieses ganze eigenartige und anstrengende Leben nicht irgendwie auf Distanz halten könnte. Ob einen das nicht gegen Schmerz, Trauer und Heimweh wappnen würde. Aber alle Empfindungen auszublenden war wohl auch keine Lösung.
Als Franziska die Augen wieder öffnete, rollten sie bereits durch das vertraute Frogner, und das Gefühl der Unwirklichkeit verflog. Sie setzten Elias zu Hause und Alexander an der Haltestelle ab, nachdem dieser drei Mal versichert hatte, »auf den letzten Metern« nun wirklich den Bus nehmen zu können. Nächste Station Odins gate.
Da wie immer keine Parklücke frei war, stellte Nina den Polizeiwagen einfach auf der Straße ab und blockierte damit ein rotes Sportauto. »Bin mal gespannt, ob ich einen Strafzettel kriege«, sagte sie lapidar. Dann stiegen sie aus und Franziska schloss ihnen die Tür zu dem düsteren Treppenhaus auf. Gemeinsam nahmen sie die ausgetretenen Holzstufen mit dem verzierten Geländer in Angriff, die in den dritten Stock hinaufführten.
»Ist jemand bei euch zu Hause?«, fragte Nina.
»Kann schon sein«, antwortete Lukas und deutete auf ihre Wohnungstür. »Da vorne!«
Die Polizistin, die sehr mädchenhaft wirkte und keinen Tag älter als zwanzig aussah, drückte auf die Klingel unter dem Namen Fischer. Dann nahmen sie Aufstellung – Nina in der Mitte, Lukas zur Rechten, Franziska zur Linken – und machten ein freundliches Gesicht, als sollten sie fotografiert werden. Von drinnen waren ein paar rasche Schritte zu hören. Die Tür schwang auf. Claudia Fischer sah sie mit großen Augen an.
»Hallo, Mama!«, sagte Lukas.
»Das ist Nina«, fügte Franziska hinzu.
Da ihrer Mutter immer noch der Mund offen stand, setzte die junge Frau mit dem leuchtend blauen Polizeihemd zu einer Erklärung an: »Guten Tag, Frau Fischer. Mein Name ist Nina Holmberg von der Kriminalpolizei. Im Auftrag von Kommissar Ohlsen bringe ich Ihnen Ihre Kinder zurück. In Grønland hat heute ein Raubüberfall auf ein Lebensmittelgeschäft stattgefunden und ihre Kinder waren gewissermaßen daran beteiligt …«
»Meine Kinder haben einen Laden überfallen?«, rief Claudia schockiert.
»Aber nein, sie haben nur die Täter beobachtet und danach eine Aussage bei der Polizei gemacht. Alles in bester Ordnung. Wenn Kommissar Ohlsen noch weitere Fragen hat, wird er bestimmt auf Sie zukommen. Sie haben übrigens sehr nette Kinder. Also macht’s gut, ihr beiden!« Mit diesen Worten drückte sie Lukas und Franziska kurz an sich, bevor sie auf dem Absatz kehrtmachte und mit wippendem Pferdeschwanz die Stufen hinuntertänzelte.
Claudia schien immer noch nicht recht zu wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollte. »Ist euch auch wirklich nichts passiert?«, fragte sie besorgt.
»Alles noch dran«, entgegnete Lukas.
»Tja, äh, dann kommt mal rein«, sagte seine Mutter zögernd.
»Ist was, Mama?«, fragte Franziska.
»Nein, nein, das kommt nur alles … ein bisschen überraschend«, murmelte sie.
»Ich hab einen tierischen Durst«, sagte Lukas und wollte gerade in die Küche flitzen, als seine Mutter ihn am Ärmel festhielt. »Nicht so schnell, ich muss euch erst mal was …«
In diesem Moment erblickte Franziska an ihrer Garderobe ein unbekanntes Kleidungsstück. »Wem gehört denn die Lederjacke?«, fragte sie.
»Die gehört mir!«
Blitzartig fuhren ihre Köpfe herum.
Auf der Schwelle zur Küche war ein Mann erschienen, der etwa so alt wie Claudia sein mochte, vielleicht ein paar Jahre jünger. Franziska starrte auf sein blütenweißes Hemd, das er betont lässig über einer verwaschenen Jeans trug. Die beiden oberen Hemdknöpfe waren geöffnet und entblößten ein paar lockige Brusthaare. Auf der hohen Stirn trug er eine Sonnenbrille, warum auch immer. Hier drinnen brauchte er sie jedenfalls nicht, und der Sommer war definitiv vorbei. Mit breitem Lächeln kam er auf sie zu und streckte ihnen seine gebräunte Hand entgegen: »Das ist ja schön, dass ich euch endlich kennenlerne. Ich bin Leif.« Doch weder Lukas noch Franziska waren dazu
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