Tatsache Evolution
erlebt – um Mitternacht knallte es, als wäre ein Lastwagen gegen das Holz-Wohnhaus gefahren; alle Bücher fielen aus den Regalen, Zimmerlampen schaukelten; Hausbewohner liefen geschockt auf die Straße und erwarteten ein Nachbeben, das allerdings ausgeblieben ist. Dieser kurze Erlebnisbericht soll die in Darwins Reise-Erinnerungen niedergeschriebenen Empfindungen unterstreichen.
Bemerkenswert ist die von Darwin (1839/1845) gezogene Schlussfolgerung. Das verheerende Erdbeben von 1835 zerstöre »unsere älteren Vorstellungen: Die Erde, wahres Sinnbild der Festigkeit, hat sich unter unseren Füßen wie eine dünne Kruste auf einer Flüssigkeit bewegt«, lesen wir in sinngemäßer Übersetzung . Diese Darwinsche Interpretation des schweren Valdivia-Erdbebens ist erstaunlich: Der Naturforscher hat das von Nicolaus Steno angedeutete Konzept einer dynamischen Erde wohl intuitiv geahnt, aber diesen Gedanken in seinen späteren Werken nicht weiterverfolgt.
Im »Darwin-Wallace-Jahr 1858« ist dann aber ein Buch eines heute in Vergessenheit geratenen (gläubigen) Naturwissenschaftlers erschienen, in dem erstmals eine Erdkrusten-Dynamik beschrieben wurde, die in Abb. 7.12 aus dem Original wiedergegeben ist. Der französische Forscher Antonio Snider-Pellegrini |220| (1802 – 1885) veröffentlichte 1858 in Paris ein Buch mit dem Titel
La Création et ses Mystères dévoilés
(»Die Schöpfung und ihre Mysterien enthüllt«), in dem er auf Grundlage identischer pflanzlicher Fossilien in Sediment-Schichten aus dem Karbon von Nordamerika und Europa postulierte, dass die Kontinente vor langer Zeit einmal zusammengefügt waren. Danach soll es zu einem Auseinanderdriften der Kontinente gekommen sein. Da Snider-Pellegrini an eine wörtliche Auslegung der Bibel glaubte (in der Genesis gibt es die Angabe, »Gott hätte den weltweiten Ozean an einer Stelle geschaffen«), interpretierte er seine geologische Theorie im Zusammenhang mit der biblischen Sintflut. Diese Vermischung naturwissenschaftlicher Fakten (das Zueinanderpassen der heutigen Kontinente, fossile Pflanzen in Europa und Nordamerika) mit biblischen Mythen (Sintflut-Erzählung) hat dazu geführt, dass die Hypothese des bibeltreuen Geographen von den Fachkollegen ignoriert worden ist.
Abb. 7.12: Reproduktion einer Originalkarte der Erde, wie sie 1858 von A. Snider-Pellegrini gezeichnet wurde. Im linken Bild (A) sind die Kontinente Amerika und Afrika aneinandergelagert, im rechten Schema (B) sind die Kontinentalplatten voneinander getrennt dargestellt. Diese u. a. biblisch-religiös motivierte Hypothese blieb weitgehend unbeachtet.
|221| Wir verdanken es dem Lebenswerk von Alfred Wegener (1880 bis 1930), dass die Hypothese von der Kontinentalverschiebung (Abb. 7.12, 7.13) zu einer soliden Theorie ausgearbeitet wurde, die heute im Konzept von der
dynamischen Erde
zu einer Tatsache erhärtet werden konnte. Unabhängig von seinem Vorgänger fiel Wegener bei der Betrachtung einer Weltkarte auf, dass die Küstenzonen von Afrika und Südamerika wie ein Puzzle zusammenpassen. Noch deutlicher wird diese Kongruenz, wenn man die Unterwasser-Ränder (Schelfe) der Kontinente miteinander vergleicht. Weiterhin stellte Wegener u. a. fest, dass fossile Reste des Farns
Glossopteris
im heutigen Südamerika , Afrika, Indien, Australien sowie in der Antarktis gefunden werden. Bereits 1912 veröffentlichte Wegener auf dieser Basis zwei Aufsätze zur »geophysikalischen Grundlage … der Horizontalverschiebung der Kontinente«, aber erst sein Buch mit dem Titel
Die Entstehung der Kontinente und Ozeane
(1915; 4. Auflage 1929) brachte den Durchbruch. In dieser umfassenden, 70 Jahre nach Darwin (1859) in ihrer Endfassung publizierten Monographie wurde eine neuartige Geologie begründet. Wegener (1929) listet eine Vielzahl an Befunden auf, die seine revolutionäre Theorie untermauern: Im »Jung-Karbon« sollen alle heutigen Einzelkontinente zum Superkontinent
Pangaea
(alles Land) zusammengefügt gewesen sein, der im Einheits-Ozean
Panthalassa
(alles Meer) gelegen haben soll. Im Verlauf des Erdmittelalters soll Pangaea auseinandergedriftet sein, womit alle heutigen Kontinente und Ozeane entstanden sind (Abb. 7.13, 7.14). Diese von Wegener ausgearbeitete
Verschiebungstheorie
stellte der Autor der damals (1929) verbreiteten Annahme entgegen, dass die »Kontinentalblöcke … ihre relative Lage zueinander die ganze Erdgeschichte hindurch unverändert beibehalten hätten (
Permanenztheorie
)«.
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