Tatsächlich Liebe in Notting Hill: Roman (German Edition)
keine Ahnung«, erwiderte ich wahrheitsgemäß. »Ich kenne sie doch gar nicht, und sie kennt mich auch nicht. Worüber zum Teufel sollen wir bloß reden?« Ich zögerte. »Vielleicht sollte ich besser gar nicht erst hingehen.«
»Ihr werdet ganz bestimmt eine Gemeinsamkeit finden«, entgegnete Ursula und legte ihre Hand auf meine. »Oh, was würde ich dafür geben, noch einmal fünf Minuten mit meiner Mutter reden zu können!«
Ich war so sehr mit mir selbst beschäftigt gewesen, dass ich Ursulas und Seans Mutter vollkommen vergessen hatte.
»Ja, du hast recht. Ich sollte dankbar sein, eine solche Gelegenheit zu bekommen. Der Unterschied ist jedoch, Ursula, dass eure Mutter euch nicht im Stich gelassen hat.«
»Trotzdem ist sie deine Mutter, Scarlett«, ergriff Oscar das Wort. »Ich beschwere mich oft genug über meine Mum, so wie sie sich in mein Leben einmischt und mir zusetzt. Aber ich würde sie um nichts in der Welt eintauschen wollen.«
Ich nickte. »Vielen Dank für eure Ratschläge, ihr beiden. Ihr habt natürlich recht, ich sollte hingehen. Ich werde einfach sehen, wie sich die Dinge entwickeln, wenn ich dort bin. Was habe ich denn schon zu verlieren?«
Nachdem Ursula und Oscar recht zügig ihre Drinks geleert hatten, verließen wir gemeinsam den Pub und gingen die Straße noch ein Stück weiter hinunter, bis wir auf ein kleines Café stießen, das Kelly’s hieß. Es war zwar kein billiges Schnellrestaurant, aber mit seinen bunten Plastikstühlen und den abwischbaren Tischdecken nicht mehr weit davon entfernt.
»Kommst du klar?«, fragte mich Ursula, als wir vor der Tür stehen blieben. »Oder möchtest du, dass wir mit hineingehen und warten, bis sie kommt?«
»Nein, es geht schon. Dann habe ich wenigstens noch ein wenig Zeit, um darüber nachzudenken, was ich ihr sagen will.«
Ursula nahm mich in den Arm. »Viel Glück, Scarlett – ich hoffe, alles wird gut!«
Auch Oscar umarmte mich. »Wenn du nicht weißt, wie du sie einschätzen sollst, dann wirf einen Blick auf ihre Schuhe«, wies er mich vollen Ernstes an. »Die Schuhe, die jemand anhat, verraten viel über den Charakter des Trägers.«
»Klar, Oscar, ich werde daran denken. Vielen Dank.«
Ich öffnete die Tür des Cafés; über mir kündigte eine Glocke mein Eintreten an. »Ich rufe euch später an und erzähle euch, wie es gelaufen ist«, versprach ich und wandte mich ein letztes Mal zu ihnen um.
»Ja, bitte, wir drücken dir alle Daumen!«, rief mir Ursula mit einem ermunternden Lächeln hinterher.
Ich lächelte sie ein letztes Mal nervös an, bevor ich tief Luft holte und hineinging. Ich wählte einen Tisch in der Ecke vor dem Fenster und setzte mich.
Eine Kellnerin mittleren Alters in einem braunen Arbeitskittel und mit einer weißen Rüschenschürze um die Taille tauchte pflichtbewusst vor mir auf. »’n Abend. Was kann ich Ihnen bringen?«
»Ähm, nur eine Tasse Tee, bitte. Mit Milch, ohne Zucker. Ach nein, doch mit Zucker bitte.« Ich hatte immer noch das Gefühl, mich in einem Schockzustand zu befinden; vielleicht würde mir eine Tasse Tee mehr helfen als der Brandy von eben.
»Gut«, erwiderte die Kellnerin und musterte mich von Kopf bis Fuß. »Sonst noch was?«
»Nein, im Augenblick nicht … Oh, wenn Sie fettarme Milch hätten, wäre das toll. Danke.«
»Fettarm«, notierte die Kellnerin auf ihren Block. »Sicher, ich schaue mal nach. Dauert nicht lange.« Die Kellnerin lief zur Theke zurück und sprach kurz mit einem Mann – der, wie ich annahm, der Chef war, da er eine lange weiße Schürze trug. Na ja, zumindest war sie einmal weiß gewesen, wenn man von den Essensflecken absah, die darauf prangten.
Ich lehnte mich zurück und ließ verstohlen den Blick über die anderen Gäste schweifen.
Eine seltsame Mischung war hier versammelt. Die Jugendlichen, die an einem der Tische herumlümmelten, schienen ihre fünf tagtäglichen Nahrungsgruppen zu sich zu nehmen: Chips, Koffein, Ketchup, Salz und Zucker. Die meisten anderen Gäste waren ein wenig älter und hatten offenbar das Gefühl, dass ihr Tag ohne eine Portion Frittiertes nicht abgerundet war. Außerdem gab es noch ein paar einzelne Gäste wie mich, die allein an ihren Tischen saßen und eine Tasse Tee tranken. Mir fiel auf, dass diese Gäste allesamt recht verzweifelt und traurig aussahen, und ich hoffte inständig, dass ich nicht ebenso wirkte.
Die schmuddeligen weißen Wände waren mit alten Schwarz-Weiß-Fotos bedeckt. Ich betrachtete das Bild, das mir am
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