Tatsächlich Liebe in Notting Hill: Roman (German Edition)
können.«
Ich sah zum Fenster hinaus und beobachtete den Verkehr, der draußen vorbeikroch. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass sie mir nichts erklären würde.
»Du bist zu einer hübschen jungen Frau herangewachsen«, fuhr Rose fort. »Dein Vater hat dich offensichtlich sehr gut erzogen, auch wenn er allein war.« Kurz hielt sie inne. »Ich nehme zumindest an, dass er allein war … oder hat er noch einmal geheiratet?«
Ich schüttelte den Kopf und sah noch immer aus dem Fenster. »Nein, er hat nicht noch einmal geheiratet. Er hat alles allein gemacht – hat sich um mich gekümmert.« Ich dachte einen Augenblick über Dad nach, wobei ich es vermied, mir vorzustellen, wie er sich wohl fühlen würde, wenn er erführe, wo ich gerade war. Dann konzentrierte ich mich wieder auf Rose. »Er hat mich gefüttert, mit mir gespielt und mir die Windeln gewechselt. Er hat mir zugehört, wenn ich ihm vorgelesen habe, und hat mit mir für Klassenarbeiten geübt. Sogar die Kostüme für Schulaufführungen hat er mir genäht. Ich habe mich an seiner Schulter ausgeweint, als mein erster Freund mit mir Schluss gemacht hat, und er ist mit mir losgezogen und hat mir meinen ersten BH gekauft. Ja, Dad war immer für mich da – weil du nicht da warst.«
Ich holte tief Luft, um mich wieder zu beruhigen. Meinem Ärger endlich einmal Luft zu machen hatte mein Herz derart pochen lassen, dass ich befürchtete, es könnte jeden Augenblick in meiner Brust explodieren und auf dem Tisch vor mir landen.
»Tut mir leid, Scarlett.« Rose schien über meinen Ausbruch sehr bestürzt zu sein. »Vielleicht tröstet es dich ein wenig, wenn ich dir sage, dass ich niemals aufgehört habe, an dich zu denken.«
»Weißt du was? Das tut es nicht!«
Rose starrte auf die Tischdecke, während ich wieder aus dem Fenster sah. Dieses Mal jedoch bemerkte ich nicht einmal die Autos, die draußen an der Ampel anhielten. Es fing an zu regnen, und auf der nassen Fensterscheibe verschmolzen alle Farben wie in einem Kaleidoskop zu einem bunten Farbmuster.
»Und?«, fragte ich, als ich mich nach ein paar Sekunden wieder zu ihr umdrehte. »Wo warst du, als all das geschehen ist?« Ich kam so richtig in Fahrt – als hätten sich sämtliche Schleusen in mir geöffnet und ließen meinen Gedanken, Gefühlen und Fragen, die ich mehr als zwanzig Jahre lang in mir verschlossen hatte, freien Lauf. Es würde einer ganz schönen Anstrengung bedürfen, um den reißenden Fluss einigermaßen wieder einzudämmen. »In London? Oder war es New York – oder gar Paris?«
Rose sah mich verwirrt an. »Woher weißt du, dass ich dort gelebt habe?«
»Ich … ich wusste es nicht, es war nur geraten.«
»Scarlett, das ist eine sehr, sehr lange Geschichte.«
»Wir haben die ganze Nacht vor uns – es sei denn, du hast noch etwas Besseres vor?«, provozierte ich sie. Unsere Blicke trafen sich.
»Nein, ich habe nichts Besseres vor.«
»Außerdem gibt es noch einen Bonus«, fuhr ich fort und sah an Rose vorbei.
»Was denn für einen?« Wieder sah mich Rose verwirrt an.
»Wie es scheint, gibt es jetzt den Apfelkuchen, mit dem wir uns für deine lange Geschichte stärken können«, erwiderte ich, als Greta zwei große Stücke mit frischer Sahne vor uns auf dem Tisch abstellte. Neben jedem Kuchenstück lag eine Kugel Vanilleeis.
»Na ja, wenn Greta das hinbekommt, bin ich sicher, dass du mir erklären kannst, warum du uns vor so vielen Jahren im Stich gelassen hast. Nicht wahr, Rose?«
28
N achdem Rose mir berichtet hatte, was sie in den letzten zwanzig Jahren getan hatte, war ihr Vanilleeis geschmolzen – auch ohne die Hilfe des ehemals heißen Apfelkuchens.
Ich hatte angenommen, dass meine Mutter durch ihre Arbeit in der Modewelt ein aufregendes, glamouröses Leben in London, New York und Paris geführt hatte, doch stattdessen hatte sie die meiste Zeit ihres Lebens damit verbracht, von einer katastrophalen Beziehung in die nächste zu stürzen. Offenbar waren wohl eher die Männer in ihrem Leben als ihre Karriere schuld daran gewesen, dass meine Mutter um die Welt gereist war.
»Scarlett, mein Leben war die reinste Achterbahnfahrt. Einen Augenblick hing ich in der Luft, während ich im nächsten meinen Traum mit einem reichen Mann an meiner Seite und einem glamourösen Job verwirklichte. Und dann, wenn alles schiefgelaufen war, stürzte ich in die Tiefen der Verzweiflung ab, manchmal sogar der Armut, sodass ich zusehen musste, schnell wieder auf die Beine zu
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