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Taubenkrieg

Taubenkrieg

Titel: Taubenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Lüpkes
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bitteren Ende zu jagen?
    Was hatte
Patch
gesagt? Wenn man über sechzig fährt, weiß das Bike von allein, wohin es fahren muss. Galt das auch, wenn man seit vierundzwanzig Stunden unfreiwillig Schlafmittel schluckte, hinten ein halbtoter Geliebter an den Hüften hing und die Straßen einem mit feindlichen Schlaglöchern und erdigen Dreckspuren begegneten? Wencke hatte nicht das Gefühl, dass diese
Harley
auch nur irgendetwas freiwillig tat: Wollte sie nach links abbiegen, zog das blöde Ding nach rechts. Die Gänge waren widerspenstiger als Emil in seiner schlimmsten |281| Trotzphase. Und wenn sie die Geschwindigkeit erhöhen wollte – und das wollte sie eigentlich ständig, denn wenn Gauly sie erwischte, war alles aus   –, dann tat der Motor so, als wäre er eigentlich als Tretverstärkung für ein Seniorenfahrrad gedacht gewesen.
    Sie hasste dieses Motorrad – und das Motorrad hasste sie.
    Jetzt kam ihnen ein Bus entgegen. Wencke verriss fast das Lenkrad vor Schreck, und dem Fahrer stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Er hupte dreimal sehr zornig und verfehlte Wencke nur um wenige Zentimeter. Der Luftzug, der hinter dem riesigen Gefährt wieder zusammenschlug, rüttelte hundsgemein an ihrer Maschine.
    Aber Wencke hielt das trotzdem aus, wie auch immer, sie kamen voran, und vielleicht passierte auch ein Wunder, und Gauly beendete diese Verfolgungsjagd.
    Axels Umklammerung wurde spürbar kraftloser. Vorhin hatte er noch versucht, ihr Fahrtipps zu geben, ihr seine Maschine zu erklären. Aber dann war er schweigsamer geworden, nach vorn gesackt, und allmählich bestand die Gefahr, dass er bei der nächsten Kurve vom Sattel rutschte. Ihm war eine Kugel durch den Oberschenkel geschlagen, wahrscheinlich zogen sie schon eine kilometerlange Blutspur hinter sich her. Sie musste es schaffen, ihn zu einem Arzt zu bringen, das wäre das Erste, was sie tun würde, sobald das blanke Überleben gesichert war.
    Bäume und Häuschen und Strommasten flogen an ihnen vorbei, von den Ackerflächen her roch es nach Düngemittel, das Röhren von Gaulys Angeberschlitten wurde lauter. Mist, nun hatte sie doch in den runden Spiegel geguckt, ihr Verfolger war inzwischen so nah, dass sie durch die Windschutzscheibe seinen verkniffenen Mund erkennen konnte. Gleich würde er sie auf seine Motorhaube nehmen.
    Plötzlich sah Wencke diese kleine Brücke. Die Sonne stand |282| direkt dahinter, blendete schmerzhaft, ihre Augen mussten noch immer lichtempfindlicher sein als normal. Dort stand jemand. Eine Gestalt. Sie hielt die Arme nach oben.
    Gauly tickte ihr Motorrad von hinten an. Seine Stoßstange machte sich einen Spaß daraus, sie anzutreiben. Im Vergleich zu dem Auto war die
Harley
nur ein Federball, der in jede Richtung geschleudert werden konnte, je nachdem, wohin der Schläger ihn haben wollte. Der Sieger stand von vornherein fest.
    Wencke schwenkte nach rechts an den Fahrbahnrand und fing sich in letzter Sekunde. Sie musste die Spur halten, sonst würde sie gegen diese verfluchte Brücke knallen. Der heftige Richtungswechsel verschlug sie für einen Moment auf die Gegenfahrbahn, die Gott sei Dank frei war. Der nächste Wagen näherte sich schon, blinkte auf, würde hoffentlich auch langsamer werden. Sie gab Gas. Näherte sich der Brücke. Diese Gestalt da oben. Stand noch immer da. Sie hielt etwas über ihrem Kopf, sie bewegte die Arme ruckartig nach vorn, sie warf etwas   …
    Axel?   … Ax…el   …?

|283| Die Einhundertvierundvierzigtausend
steht als Zahl für die Erlösung der Gerechten
    Sie stand da, den Metallklumpen in der Hand, seine Worte im Ohr. Du bist die Beste, du bist die Einzige! Bald ist alles gut!
    Der blaue Sportwagen raste von Weitem auf sie zu, direkt vor ihm ein schlingerndes Motorrad, die Fahrerin trug keinen Helm, genau wie der Mann hinter ihr, der seltsam schief auf dem Sitz hing.
    Bis drei zählen und dann weg mit dem Ding! Nur ein gerechter Schreck für das Schwein! Nur eine kleine Bestrafung für das, was er mir und meiner Familie angetan hat!
    Wirst du das für mich tun, Heide?
    If I would, could you?
    Nie waren Leo und sie sich so nah gewesen wie in diesem Moment, nachdem er gestern plötzlich wieder bei ihr aufgetaucht war. Der Teddy mit dem Herz am Kopfende des Bettes, das Lied im C D-Player : »
Into the flood again   …«
    Sie schauten sich gemeinsam das Schwarz-Weiß-Foto an, das Heide nach der Entdeckung wieder in das Cover gesteckt hatte. Eine Frau mit zwei Babys im Arm.
    »Leo, was

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